Plädoyer: Wenn er schreibt, wird er zum Rambo

Plädoyer 3 / 2005

Nur selten kritisieren Juristen das Rechtssystem. Der Basler Advokat und Buchautor Peter Zihlmann tut es. Das stellte seine Karriere auf den Kopf: Er begann als Wirtschaftsanwalt und Spezialist für grosse Fälle. Heute sitzen Randständige in seinem Büro.

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Das Quartier stimmt, der Mann nicht. Da reiht sich, an bester Aussichtslage, Eigenheim an Eigenheim – so wie Juristen eben zu wohnen pflegen. Doch der Hausherr, der die Türe öffnet, trägt Hippiekluft und Indianerschmuck. Folgt man ihm durch die mit antiken Möbeln und Kronleuchtern bestückten Räume, glaubt man erst recht, einen Besucher statt den Besitzer persönlich zu sehen. Von Stock zu Stock wird die Aussicht überwältigender; schliesslich taucht sogar das Basler Münster in der Ferne auf. Die Höhenwanderung endet unter dem Dach: «Mein Büro. Die Kanzlei in der Stadt habe ich aufgegeben.»

Einst passte Peter Zihlmann auch in Sachen Outfit fugenlos zu seinem Berufsstand. Musste er auch, als junger Rechtskonsulent bei der Ciba. Später, als Wirtschaftsanwalt mit eigener Praxis, ohnehin. Die Kanzlei gedieh auf Anhieb. Zweifel kannte er weder an seiner Arbeit noch an der Justiz. Der Bruch geschah vor fünfzehn Jahren.

Peter Zihlmann stand so weit oben, dass er es sich leisten konnte, einen Werner K. Rey an einen Kollegen abzutreten. Dann suchte André Plumey seine Hilfe. Der jurassische Finanzjongleur hatte 762 Anleger um insgesamt 200 Millionen Franken erleichtert. Die Medien, noch heiser von ihren Lobeshymnen auf den Geld-Guru, stürzten sich mit gleicher Inbrunst auf seinen Sturz. Der Orkan der öffentlichen Empörung schwoll an; gnadenlose Bestrafung wurde gefordert. «Die populistische Justiz, die sich nach der politischen Grosswetterlage richtet», sagt Peter Zihlmann, «gab dem Zeitgeist nach.» Um seine Verteidigerrolle zu erschweren, verweigerte sie ihm das Akteneinsichtsrecht. Um das Bild des gewissenlosen Betrügers nicht zu verwässern, liess sie am Prozess keine Zeugen auftreten. Denn Opfer waren keineswegs Kleinanleger, sondern fast ausnahmslos Betuchte aus dem In- und Ausland, die ihr Schwarzgeld anlegten. «Eine einzige Spekulanten-Gemeinde, die sehr wohl wusste, worauf sie sich einliess», plädierte Peter Zihlmann am Prozess. Und forderte Freispruch.

Das Urteil, sieben Jahre Zuchthaus – mehr, als der Staatsanwalt gefordert hatte -, empfand Zihlmann als Rache. Auch an ihm selbst. Weitere bittere Erkenntnisse: In der Schweiz werden Wirtschaftskriminelle härter bestraft als Mörder; Geld ist schützenswerter als Leben. Und die Justiz fragt nicht nach dem tatsächlichen Verschulden eines Angeklagten, der von Banken, Mitarbeitern, Medien und Anlegern hofiert wurde. Vielmehr misst sie seine Schuld, einfacher und bequemer, an der Höhe des angerichteten Schadens. «Fränklijustiz» nennt es Peter Zihlmann.

„Haftstrafen machen die Welt nicht besser, sondern krimineller“

Nach diesem Prozess war im Leben des Peter Zihlmann nichts mehr wie früher. Sein Freundeskreis zog sich zurück: Für den Basler Geschmack trieb er es zu laut und zu schrill. Beschimpfte das Untersuchungsgefängnis Lohnhof als «Geständnisfabrik». Drohte mit dem öffentlichen Zerreissen seines Anwaltspatents. Verhöhnte die Basler Rechtsprechung als «reines Mittelalter», weil der Haftrichter auch als Staatsanwalt walten durfte. Tatsächlich musste die Basler Strafprozessordnung geändert werden, nachdem er sie im Europäischen Gerichtshof eingeklagt hatte. Auch Peter Zihlmanns Klienten wechselten. Statt Wirtschaftskriminelle sassen nun Randständige in seinem Büro, mittellose Schwarzfahrer beispielsweise, die ihre Busse, wie in Basel üblich, im Gefängnis absitzen mussten. Weil «Haftstrafen die Welt nicht besser, sondern krimineller machen», liess Peter Zihlmann ein Inserat erscheinen: «Wir bezahlen Ihre Busse!» Diese generöse Geste ermöglichten die 10 Millionen Franken einer privaten Stiftung für Justizopfer: der Dank eines französischen Industriellen an Peter Zihlmann, der ihm sein auf Schweizer Banken verschwundenes Vermögen wieder beschafft hatte.

Wie viele, die sich an den Ungerechtigkeiten der Welt reiben, schreibt auch Peter Zihlmann Bücher. Ihre Titel sind Programm: «Die Ware Wahrheit», «Justiz im Irrtum» oder, das vorläufig letzte: «Macht Strafe Sinn?» Die Werke erscheinen in immer rascherer Folge, «weil auch das Klima immer schrecklicher wird». Die Schweiz ist zum Land der «Vielstraferei» mit Nulltoleranz und Maxi-Überwachung geworden: «Es geht in diesem Jahrhundert nicht mehr um mehr Gerechtigkeit, sondern um mehr Sicherheit. Inzwischen sind unsere Gefängnisse randvoll, ohne dass unser Leben sicherer geworden wäre.»

„Es geht in diesem Jahrhundert nicht um mehr Gerechtigkeit“

Wenn Zihlmann spricht, scheint er seinen Worten nachzublicken und höflich ihre Wirkung zu bedenken. Wenn er schreibt, wird er zum Rambo, der sich mit lustvoll-pointierter Schärfe auf alles stürzt, was nach juristischem Machtmissbrauch wirkt. Weil er sich zudem um Verständlichkeit bemüht, statt die Laien mit Fachvokabular und Paragraphengeklapper zu beeindrucken, finden ihn manche Kollegen unseriös: Polemik pur! Die NZZ empfahl sein letztes Buch höchstens als «Lesespass für Nichtjuristenl». Suspekt ist vielen auch sein Hang zur emotionalen Verunsicherung. «Die Plastiksprache der Justiz», sagt er, «kennt nur ein ’schuldig‘ oder ’nicht schuldig‘, nie etwas Drittes.» Oder gar eine vierte und fünfte Wahrheit wie in Akira Kurosawas Filmklassiker «Rashomon»: «Ein Mensch ist nie nur ein Fall»

Sein neustes Buch erscheint im Herbst; es ist die Geschichte des gescheiterten Financiers Dieter Behring. Wie im Fall Plumey sieht er die Grenze zwischen Opfer und Täter verwischt. Hier wie dort spielen die Medien eine entscheidende Rolle. Noch vor zwei Jahren hatten sie Behring und seinen Turbo-Kapitalismus als «genial erfolgreich» hochgejubelt – ein Meister, verglichen mit dem Lehrbuben Ebner! Bis das erste Fragezeichen hinter seinem Namen auftauchte. «Und ist die Kugel mal im Lauf», sagt Peter Zihlmann, «wird es unmöglich, die medialen Vorgänge zu korrigieren.»

„Trotz randvoller Gefängnisse ist das Leben nicht sicherer“

Ein Leben voller Widerstand bleibt nicht ohne Folgen. Als Zihlmann letztes Jahr den Kardiologen konsultierte, meinte dieser achselzuckend: «Der eine hat eine Glatze, der andere Herzrhythmusstörungen.» Und verschrieb die doppelte Dosis Betablocker. Zihlmann beschloss, lieber den Job als privaten Ombudsmann abzugeben und fortan für Familie und Freunde zu leben. Ganz aufs Wellenschlagen verzichten mag er freilich nicht. «Schschscht!», macht er vor seinem Gartenweiher und sieht fröhlich zu, wie sich die Frösche ins Wasser retten.

Margrit Sprecher


Richtigstellung des Porträtierten:

  1. Meine Geste, die Busse von Personen zu zahlen, damit sie nicht in den Knast wanderten, war meine persönliche politische Aktion, um auf diese Unmenschlichkeit hinzuweisen. Ich habe symbolisch gesprochen für eine Person in der Schweiz „ein Jahr Freiheit gekauft“ (365 x Fr.30.–). Das Geld habe ich aus meinem eigenen Sack bezahlt. Dafür liess ich kein Inserat erscheinen. Ich richtete einen Aufruf an die Strafrichter, von solchen „Bussenumwandlungen“ abzusehen. Der Blick und viele andere Medien berichteten darüber (vgl. meine Website unter Bussenumwandlung).
  2. Der Stiftung ist nur knapp die Hälfte des genannten Betrages zugeflossen.
  3. Mein vorläufig letztes Buch ist übrigens ein Ratgeber für Suchende nach Recht und Gerechtigkeit mit dem Titel „Das Gesetz über dem Recht“, Zürich, 2003.
  4. Den Fall Rey habe ich nicht an einen Kollegen abgetreten, wenn es auch kein Zufall ist, dass Stefan Suter, mit dem ich seit über einem Jahrzehnt zusammenarbeite, der Verteidiger von Werner K. Rey geworden ist, nachdem ich unter seiner aktiven Mitarbeit die Verteidigung von André Plumey organisiert hatte.

Peter Zihlmann, Riehen