Basler Zeitung Nr. 120, 24. Mai 2000
Zur Basler Auseinandersetzung um ein Vetorecht des Staatsanwaltes.
Wie leicht ein Staat Verhaftungen vornimmt, ist ein Prüfstein für seine Rechtsstaatlichkeit und seinen freiheitlichen Charakter.
Kein Raum für ein Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft
Unter dem wohltuenden Druck der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) wurde in Basel-Stadt wie auch in den Kantonen Zürich, Bern und Genf der Haftrichter eingeführt. Das Recht des Festgenommenen, unverzüglich vor einen unabhängigen Richter gestellt zu werden, ist ein Abwehrrecht des Einzelnen gegenüber dem Staat, der ihm die Freiheit genommen hat. Haft, darf nur sein, wenn ein Haftgrund – vor allem Fluchtgefahr oder Verdunkelungsgefahr – gegeben ist und zudem dringender Tatverdacht besteht. Kann die Staatsanwaltschaft dies vor dem Haftrichter nicht erklären, so ist der Richter verpflichtet, den Festgenommenen unverzüglich freizulassen. Einmal entzogene Freiheit kann nicht wieder zurückgegeben werden. Auch wenn sich nachträglich die Unschuld des Verhafteten ergeben sollte. Haft wird nämlich vor genauer Prüfung aller Fakten aufgrund von blossem Verdacht im Verlauf einer Strafuntersuchung angeordnet. Kann der Haftrichter die Haft nicht verantworten, so hat entweder die Staatsanwaltschaft zu wenig recherchiert oder es liegt effektiv kein Grund für eine Haft vor. Der endgültige Entscheid darüber muss innerhalb von längstens vier bis fünf Tagen geschehen. Da ist kein Raum für ein Vetorecht der Staatsanwaltschaft, auch nicht in der Form eines Beschwerderechts dieser Behörde.
Staatsanwaltschaft gegen Menschenrechtskonvention
Die Staatsanwaltschaft hat kürzlich (BaZ Nr. 114: «Stawa und Richter Albrecht kreuzen öffentlich die Klingen») eine harsche Medienkritik gegen den Basler Haftrichter Prof. Peter Albrecht losgetreten und sich damit als Behörde der Einmischung in die Gewaltenteilung und des (wahrscheinlich erfolgreichen) Versuchs der Beeinflussung der Justiz schuldig gemacht. Sie fordert nun politisch gar ein Vetorecht gegen die Entlassung von Verhafteten durch den Haftrichter. Die Staatsanwaltschaft fordert ein eigenes Beschwerderecht. Sie tut das scheinbar harmlos unter dem Titel «Waffengleichheit». Praktisch aber soll damit die 1993 eingeführte freiheitlichere Regelung mit dem Haftrichter zunichte gemacht werden. Das nun geforderte Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft wäre EMRK-widrig (EMRK Art. 5 Abs. 3). Die Staatsanwaltschaft stellt sich vor, dass der Verhaftete bis zum endgültigen Entscheid einer «höheren Instanz> in Haft bleibt. Durch zahlreiche Urteile des Europäischen Gerichtshofes in Strassburg ist geklärt, dass über die Haft innert weniger Tage endgültig richterlich entschieden werden muss (vgl. Mark Villiger, Handbuch zur EMRK, 1999, S. 226). Auch Ludwig Minelli, der schweizerische Experte auf diesem Gebiet, hält die von der Staatsanwaltschaft geforderte Beschwerdemöglichkeit für EMRK-widrig. Schliesslich kann die Staatsanwaltschaft auch nicht mit der staatsrechtlichen Beschwerde nach Lausanne oder gar mit einer EMRK-Beschwerde nach Strassburg rekurrieren. Die Staatsanwaltschaft sollte mehr Verständnis für die Anliegen von Verhafteten haben, nachdem vor nicht allzu langer Zeit (Ende 1998) drei Beamte der Staatsanwaltschaft einschliesslich einem Staatsanwalt verhaftet wurden und diese sich trotz der relativ kurzen Haftdauer arg beklagt haben.
Beschwerden eines Verhafteten sind chancenlos
Nach heutiger Regelung kann der Verhaftete sich bei einer höheren Instanz (Appellationsgericht) beschweren, wenn der Haftrichter ihn in Haft setzt. Dieses Beschwerderecht des Verhafteten gegen den ablehnenden Entscheid des Haftrichters könnte ohne Nachteil für den Verhafteten aufgehoben werden: Beschwerden, des Verhafteten sind nämlich chancenlos. Das geht aus folgenden Zahlen hervor. Zwar werden jedes Jahr bis zu 55 Beschwerden gegen Haftverfügungen erhoben, aber davon, sind 1997 sechs und 1996 zwei, 1995 drei, 1994 eine einzige Beschwerde gutgeheissen worden. Seit Januar 1998 sind nach vorliegenden Zahlen überhaupt keine Beschwerden von Verhafteten mehr gutgeheissen worden. Deshalb sind die Beschwerden in den letzten beiden Jahren stark zurückgegangen (je 22 Beschwerden). Wenn formell Waffengleichheit geschaffen werden sollte, dann eher durch Abschaffung des innerkantonalen Beschwerderechts für beide Parteien. Die Entrüstung der Staatsanwaltschaft ist unbegründet und lässt sich nur damit erklären, dass sie rechtsstaatlich überholten Machtpositionen nachtrauert. Im Prinzip will sie ihr Verfügungsrecht über die Verhafteten, das sie vor 1993 unbestrittenermassen hatte, zurückgewinnen. Die Haftquote (Anzahl Untersuchungsgefangene an einem Stichtag Ende März) weist in Basel trotz Einführung des Haftrichters seit 1995 eine steigende Tendenz auf, nachdem in den Jahren nach der Einführung ein leichter Rückgang erfolgt war. Nach dem Bundesamt für Statistik wies der Bestand an Personen in Untersuchungshaft im Kanton Basel-Stadt folgende Zahlen auf: 1992: 88; 1993: 30 (Einführung des Haftrichters 01.01.1993); 1994: 66; 1995: 62; 1996: 74; 1997: 75; 1998: 87. Diese Zahlen belegen, dass nach einem anfänglichen Erfolg des freiheitlichen Denkens sich das repressive, auf Geständnisfabrikation basierende Haftdenken offenbar auch bei den zur Wahrung der individuellen Freiheit eingesetzten Richtern mehrheitlich durchgesetzt hat. Zu viele unter ihnen sind zu oft Haftrichter und keine Freiheitsrichter. Zu viele wollen es vermeiden, von ihren «Monopolkunden», den Staatsanwälten, mit denen sie täglich zu schaffen haben, öffentlich heruntergemacht zu werden. Sie bestätigen im Zweifel den Haftantrag des Staatsanwalts und ersparen sich dadurch Ärger und politischen Widerstand.
Wie die Staatsanwaltschaft in die Illegalität abgleitet
Wer will es ihnen verdenken, so lange wir als Teil der Gesellschaft freiheitliches und unabhängiges Richten nicht selbst fordern und fördern! Zu sehr erliegen wir dem Wahn, mit einer ausufernden, unkritischen Haftpraxis innere Sicherheit herstellen zu können. Zu schnell vergessen wir, dass nicht die Staatsanwaltschaft, sondern der Richter Recht spricht. Wenn die Staatsanwaltschaft im konkreten Fall vorsätzlich vom «Täter» und nicht mehr vom «Verdächtigen» spricht, verletzt sie die Unschuldsvermutung und gleitet selbst in die Illegalität ab.
Die staatsanwaltliche Kritik gegenüber dem Richter sollte als unsachlich und masslos übersteigert erkannt und ihre politische Forderung nach einem eigenen Beschwerderecht als menschenrechtswidrig zurückgewiesen werden.