Basels Robin Hood der Juristerei

Badische Zeitung 17. März 2000
Baden-Württemberg/Aus der Region

Der „private Ombudsmann“ Peter Zihlmann legt sich für „Menschen in Not“ ins Zeug / Unerbittliche Kritik am Justizsystem

Von unserem Korrespondenten Hans-Walter Neunzig  

BASEL. Der Basler Anwalt Peter Zihlmann ist so etwas wie der Robin Hood der Juristerei, obwohl er das selber nicht so gerne hört. Er nennt sich lieber „privater Ombudsmann“. Als Präsident der Stiftung „Menschen in Not“ legt sich der 62-Jährige für die „vier A“ ins Zeug: Alte, Arme, Arbeitslose, Ausländer. Für den kranken Rentner in Basel beispielsweise, der im Laden Lebensmittel für nicht einmal 20 Franken hatte mitgehen lassen und von der Polizei ins Gefängnis gesteckt worden war, nachdem er seinen Bussgeldbescheid nicht bezahlen konnte. Erst nachdem sein Hausarzt höchstpersönlich die Busse von 80 Franken aus eigener Tasche bezahlt hatte, wurde der betagte Mann freigelassen. Kein Einzelfall bei der Basler Justiz, wie das Buch „Justiz im Irrtum“ klarmacht, dass Zihlmann vor kurzem veröffentlicht hat.

Der Anwalt mit dem sorgfältig gestutzten Schnauzbart und dem wehenden grauen Haar ist in der Basler Justizszene bekannt wie ein bunter Hund. Weniger, weil er in Basel Jahrzehnte lang als ausserordentlicher Gerichtspräsident amtete oder wegen seines spektakulären Auftritts als Verteidiger des Millionenbetrügers André Plumey, sondern vielmehr wegen seiner Rolle als „Nestbeschmutzer“, als „enfant terrible“. Peter Zihlmann ist nämlich über die Jahre vom anerkannten Wirtschaftsanwalt zu einem scharfzüngigen Justizkritiker avanciert. Bereits sein erstes Buch „Der Fall Plumey – Die Ware Wahrheit“ sorgte für Wirbel – nicht nur wegen des justizkritischen Inhalts, sondern auch weil der Autor (erfolglos) wegen „Verletzung des Berufsgeheimnisses“ verklagt wurde.

Erst 1998 strengte die Basler Anwaltskammer ein Disziplinarverfahren gegen den streitbaren Juristen an, weil Zihlmann es gewagt hatte, die Entscheidung eines Haftrichters gegen einen Fixer öffentlich zu kritisieren. Auch mit seinem neuen Buch hat sich Zihlmann in Justizkreisen wohl kaum Freunde gemacht. Bei der Vernissage des Buches vor 200 geladenen Gästen glänzte sein Berufsstand weitestgehend durch Abwesenheit. Vielleicht wollten die Staatsanwälte und Richter sich auch nicht den Spiegel vorhalten lassen, denn was Zihlmann in dem rund 270 Seiten starken Werk an wissenschaftlichem Material, aber vor allem auch an persönlichen Erfahrungen mit Justitia zusammengetragen hat, gereicht dem Berufsstand nicht immer zur Ehre. Eines seiner „Lieblingsthemen“: Die Umwandlung von nicht bezahlten Bussgeldbescheiden in Haft. Da ist der Kanton Basel nämlich einsamer Spitzenreiter in der gesamten Schweiz. Nirgends sonst landet man bei Nichtbezahlung einer Busse so schnell im Knast wie im Stadtkanton. Im ungleich grösseren Zürich kamen im Jahr 1997 268 Zahlungsunwillige hinter Gitter, in Basel waren es 490. „Die grosse Lust am Einsperren“, betitelte das Schweizer Magazin „Beobachter“ bereits im Jahr 1993 diese Praxis.

Hinter den nackten Zahlen stehen zum Teil haarsträubende Fälle, wie Zihlmann in seinem Buch dokumentiert. Am 13. Februar letzten Jahres erhängte sich beispielsweise in der Strafanstalt in Basel ein 47-jähriger Autolackierer, Vater von vier Kindern. Er musste als Ersttäter eine Haftstrafe von 21 Tagen wegen zwei nicht bezahlten Strafzetteln wegen Falschparkens verbüssen. Kleine Delikte, vom Schwarzfahren über Ladendiebstahl oder wegen verbotenen Bettelns können in Basel zum Gang hinter schwedische Gardinen führen, wenn das Bussgeld nicht bezahlt werden kann. Aber auch sonst greift Basels Justiz gnadenlos durch.


Keine Zeit für den Milliarden-Pleitier

Für landesweiten Protest hatte 1989 ein Fall gesorgt: Eine 16-jährige Schülerin aus Basel war wegen eines Schulstreiches verhaftet und in ein geschlossenes Heim eingeliefert worden. Ihr „Vergehen“: Sie hatte ihrem Lehrer eine Packung Haaröl bestellt und ihn wiederholt am Telefon belästigt. Trotz aller Proteste wurde die vorläufige Haftanordnung immer wieder verlängert. Insgesamt musste die Schülerin zehn Monate im Heim ausharren. Erst als das Boulevard-Blatt „Blick“ die Sache publik machte, wurde sie „beurlaubt“.

Als eine andere 17-jährige Schülerin aus Basel zum dritten Mal wegen „Schwarzfahrens“ erwischt worden war, steckte die Basler Vormundschaftsbehörde das Mädchen in ein geschlossenes Heim für Schwersterziehbare – auch Zihlmanns Proteste wirkten nicht. Erst als das Mädchen dort aus Verzweiflung aus dem dritten Stock sprang und sich dabei schwere Verletzungen zuzog, wurde „wegen Undurchführbarkeit“ vom Freiheitsentzug abgesehen.

Wenn man Peter Zihlmann glauben darf, sind das beileibe keine Einzelfälle. Mittlerweile ist der vom gefragten Wirtschaftsanwalt zum Verfechter der Interessen der kleinen Leute mutiert: Bis zu 150 Menschen suchen jedes Jahr unentgeltlich Hilfe der 1992 gegründeten Stiftung „Menschen in Not“. Sie geht auf das Vermächtnis des Franzosen Gérard Kraemer zurück, dem Zihlmann in einem jahrelangen Kampf gegen einen Konzern zu seinem Recht verholfen hat.

Sein letzter Wille war, dass sein Erbe als Grundlage für eine Stiftung zur Unterstützung von Justizopfern verwendet werden sollte. Seitdem geht Zihlmann die Arbeit nicht mehr aus. Eine Arbeit, für die er auch finanziell lukrative Engagements ausschlägt. Als der Schweizer Milliarden-Pleitier Werner K. Rey ihm Ende 1997 seine Verteidigung anbot, lehnte Zihlmann dankend ab. Er kümmert sich lieber um den 85-jährigen Rentner A., der sich mit dem Amt für Sozialbeiträge um angeblich zu viel ausbezahlte Leistungen in Höhe von 5000 Franken streiten muss.