Erfrischende Kritik an der Strafjustiz

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Politische Literatur, 22.02.2003

dgy. «Macht Strafe Sinn?» Diese klassische Frage, immer wieder neu gestellt und doch niemals endgültig beantwortet, macht der Basler Jurist und Justizkritiker Peter Zihlmann zum Titel seines neusten Buches. Wer Zihlmann kennt – eine schillernde Figur der Basler Juristenszene, Anwalt und Strafverteidiger mit Erfolgen vor Bundesgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte, polemischer Autor, ausgewiesener Kenner des Mietrechtes, ehemaliger Richter, selbsternannter Ombudsmann für Menschen in Not -, der erwartet keine konformistischen Antworten. Zihlmanns These: Strafe hilft dem Opfer einer Straftat nicht, und sie trägt nicht zur Resozialisierung des Täters bei. Sie ist ein Mittel des Staates, um Randständige und Minderheiten zu disziplinieren und das soziale Spiel zu dominieren. Die Schweiz ist ein Staat der «Vielstraferei», wobei die Gerichte emotionslos Urteile mit für den Täter und die Gesellschaft zerstörerischer Wirkung fällen: «Solange ein Staat straft, herrscht ein bürgerkriegsähnlicher Zustand im Land, noch herrscht kein Friede.»

Das ist Polemik pur, die über weite Strecken das neue Werk Zihlmanns dominiert. Es scheint, als schreibe sich der Autor die Wut der letzten 20 Jahre über seine Erfahrungen im Justizbetrieb vom Leibe und lebe seine Freude an blossen Provokationen aus, die vielfach gar keine mehr sind: Manches, was Zihlmann schreibt und fordert, wurde schon vor Jahren und Jahrzehnten gedacht und besser formuliert. Manch anderes ist schlecht oder gar nicht belegt und wirkt undifferenziert dahergeredet. Das ist schade, denn Zihlmann hat mit seinen Analysen keineswegs nur Unrecht, und mancherorts thematisiert er Hochaktuelles, das in der Schweiz mitunter unter den Tisch zu fallen droht: die in jüngerer Zeit wieder stärker spürbare Tendenz etwa, laufend neue und fragwürdige Strafbestimmungen zu erlassen, oder die tatsächlich nicht unproblematische Verlagerung vom Schuldstrafrecht hin zu rein präventiven Massnahmen in Form dauerhafter Verwahrung von Tätern. Auch seine Forderung nach auf Ausgleich ausgerichteten Alternativverfahren zum Strafprozess ist durchaus berechtigt, ebenso jene nach modernen Massnahmen im Strafvollzug, wie sie teilweise bereits heute verwirklicht werden (elektronische Fussfesseln, gemeinnützige Arbeit). Das Buch verspricht hauptsächlich für Nichtjuristen einigen Lesespass und nebst Abgestandenem in Zeiten von «zero Tolerance» auch Erfrischendes. Für Fachleute von begrenztem Genuss.

Peter Zihlmann: Macht Strafe Sinn? Verlag Schulthess, Zürich 2002. 263 S., Fr. 42.-.