B wie Bussenumwandlung

Der Forum-Gast

Basler Zeitung vom 14. Mai 1993

Wie reagiert die Justiz, wenn ein 78jähriger Rentner, der eine Busse von 100 Franken wegen Entwendung eines Brie-Käses und eines Panettone aus der Migros im Wert von 17.55 Franken nicht bezahlt? Wichtig zu wissen, dass der Witwer von der Sozialfürsorge unterstützt, in Armut lebt, gehbehindert ist und unter Asthma leidet.

Wie reagiert die Justiz gegenüber einer jungen Frau, die zehn Bussen wegen wiederholten Falschparkierens ihres Geschäftsautos nicht bezahlt? Ihr Verlobter hatte Selbstmord begangen. Erschüttert von diesem Ereignis kümmerte sie sich nicht um die Bussen. Überdies steckte sie in finanziellen Schwierigkeiten.

Wie reagiert die Justiz, wenn ein junger Mann, der eine Busse von 500 Franken nicht bezahlt, die ihm im Zusammenhang mit falschen Fahrzeugausweisen auferlegt worden war? In diesem Fall unterbleibt die Zahlung, weil sich der junge Mann zur Ausbildung in den USA aufhält und von der ganzen Sache nichts erfährt.

Alle drei erleiden durch die Basler Justiz das gleiche Schicksal: Die Bussen werden gar nicht erst in Betreibung gesetzt, und es erfolgen auch keine Pfändungen. Der Staat will offenbar kein Geld, er will strafen und gibt dafür viel Geld aus. Zunächst wandeln die Strafgerichtspräsidenten die Bussen in Freiheitsentzug um: 30 Franken Busse werden so durch Federstrich zu einem Tag Haft. Für den Rentner ergibt das drei Tage Haft (Beschluss des Polizeigerichtspräsidenten des Kantons BaselStadt Nr. 17 190/92 vom 1.2.1993); 24 Tage für die junge Frau (Urteil des Polizeigerichtspräsidenten des Kantons Basel-Stadt Nr. 8746 ff vom 14.2.1991); und 16 Tage für den jungen Mann (Beschluss des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 30.10.1989, vom Bundesgericht mit Urteil vom 7.1. 1991 Nr. 1P 210/1990 nach dem Vollzug der Strafe als rechtswidrig aufgehoben!).

Vom Strafrichter nicht angehört

Alle drei sind vom Strafrichter, der den Freiheitsentzug in ihrem Fall befahl, nicht angehört worden. Auch Abklärungen über den Grund der ausgebliebenen Zahlungen erfolgten keine.

Alle drei sind in Basel zur Verhaftung ausgeschrieben, verhaftet und im Lohnhof einquartiert worden. Der junge Mann und die Frau werden an der Grenze verhaftet, die Frau nach einem Besuch bei einer Freundin im Badischen, der Mann, als er von seinem USA-Aufenthalt wieder in die Schweiz zurückkehrte. Welch ein Empfang! Der invalide Rentner erhielt einen Vorführbefehl und humpelte auf seinen Krücken noch als freier Mann zum Lohnhof, hatte aber lediglich 42 Franken im Portemonnaie und wurde in eine Zelle gesteckt. Dort hat eine Angestellte in Verletzung von Dienstvorschriften ein Telefongespräch mit dem Hausarzt des Rentners vermittelt und half so, eine Tragödie zu verhindern. Der alarmierte Hausarzt fürchtete für seinen Patienten, der an schwerem Asthma litt, und versprach spontan Zahlung der geforderten 180 Franken aus dem eigenen Sack. Die Polizei forderte nämlich auch gerade noch 80 Franken für Gebühren! Selbst das genügte nicht. Erst als die Mutter des Hausarztes Stunden später das Geld eigenhändig dem Lohnhofangestellten übergeben hatte, entliess die Polizei den hilflosen Rentner.

Wie Ist so etwas möglich?

Das Strafgesetzbuch aus dem Jahr 1942 sieht in Artikel 49 die Möglichkeit der Umwandlung von Busse in Haft vor, aber nur bei schuldhaftem Nichtbezahlen. Zur Entlastung der überforderten Strafrichter wurde jedoch diesen auch im Kanton Basel-Stadt durch die Prozessordnung ermöglicht, Scheinurteile, sogenannte Strafbefehle ohne Anhörung der Person und weitere Abklärung des Sachverhalts, auszufertigen. Erfolgt innert zehn Tagen seit Empfang des Papiers kein Einspruch, so wird die Person zur Verhaftung ausgeschrieben. Sie ist ohne Anhörung automatisch zur kriminellen Person geworden, die überall, wo sie ist, ergriffen und in den Strafvollzug geliefert werden muss. Wird sie polizeilich angehalten, ist alles zu spät: Sie darf weder telefonieren noch sonstwie das Geld organisieren. Sie hat aber das Recht, «auf der Stelle zu bezahlen». Die Bürokratie in der Justiz funktioniert also total. Aber genügt es, dass sie in Massen Strafbefehle produziert, dass vom Tisch des Gerichtspräsidenten auch Papiere flattern, die eine Justizmaschinerie produziert hat, die sich vom Gerechtigkeitsgedanken des Strafrechts loskoppelt?

Was bezweckt ein solches Strafsystem?

Entscheide der Justiz sind weder Unglücksfall noch Zufall. Sie beruhen auf vorsätzlichem menschlichen Verhalten. Durch solches Vorgehen werden weite Kreise der Bevölkerung kriminalisiert und erhalten die Möglichkeit, unsere Gefängnisse aus eigener Erfahrung kennenzulernen. Alles ohne Rücksicht auf Kosten, die sowohl dem Häftling wie dem Steuerzahler entstehen, und ohne Rücksicht auf Auswirkungen auf Person und Familie des Verhafteten. Durch solche Gefangennahmen wird erreicht, dass neben dem neuen im Bau befindlichen Untersuchungsgefängnis die beiden bisherigen Anstalten, der Lohnhof und das Schällemätteli, wegen der selbst produzierten Überbelegung beibehalten werden müssen. Basel bringt es dann auf drei Gefängnisse auf städtischem Boden.

Was ist zu tun?

peter-bazEs darf nicht mehr vorkommen, dass irgend jemand wegen einer nichtbezahlten Busse seiner Freiheit beraubt wird, schon gar nicht ohne vorherige Anhörung und ohne genaue Abklärung der Gründe. Das sollte für uns eine Selbstverständlichkeit sein. Wenn die Justiz wegen Überlastung die Fähigkeit einbüsst, in jedem Fall menschlich und verhältnismässig zu entscheiden, dann ist der für den Strafvollzug zuständige Polizeidirektor gefordert. Er hat in Erfüllung seiner Fürsorgepflicht für die Bevölkerung dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Weisungen in seinem Departement erlassen werden. Könnte zum Beispiel nicht anstelle rigoroser Verhaftungs- und Vollzugspraxis die Leistung eines sinnvollen Dienstes für die Gemeinschaft eingeführt werden? Die Polizei versteht es sonst überall bei ihren Einsätzen, die Verhältnismässigkeit zu wahren und bürgernah zu handeln. Dies betrifft ihr Vorgehen in der Drogenszene, bei Demonstrationen oder Hausbesetzungen. Der Staat darf die Gerechtigkeit nicht aus den Augen verlieren, nur weil er sozusagen in eigener Sache die offenen Bussen des Staats vergelten will. Ein moderner Rechtsstaat sollte auf das mittelalterliche Zwangsmittel des Schuldverhaftens überhaupt verzichten. Das wäre auch eine sympathische Art staatlichen Sparens.

Der einzelne darf die Menschenrechte einfordern, er muss es sogar.

Peter Zihlmann


Basel an einsamer Spitze

Die Tabelle zeigt Bussenumwandlungen der Jahre 1990-1992 nach dem Kanton, wo der Gerichtsentscheid ausgesprochen worden ist.

Kanton 1992 1991 1990
AG 24 41 20
BE 160 75 84
BL 0 1 0
BS 435 323 194
FR 20 20 21
GE 30 33 140
GL 0 0 1
GR 0 0 1
JU 7 1 10
LU 12 6 8
NE 8 6 6
NW 5 0 1
OW 1 0 0
SG 17 15 16
SH 12 9 1
SO 5 4 2
SZ 7 1 1
TG 4 3 4
TI 2 3 1
VD 12 13 31
VS 0 0 2
ZG 4 6 4
ZH 66 78 82
Total 831 638 630