2. Aufruf Geldbussen nicht mehr in Freiheitsstrafe umzuwandeln

Basel, 01. Februar 2003

Sehr geehrter Herr Strafgerichtspräsident
Sehr geehrter Herr Strafbefehlsgerichtspräsident

Aus konkretem Anlass (Claudia Federspiel: So wars hinter Gittern) komme ich auf einen richterlichen Missbrauch zu sprechen, auf den ich die Richter bereits an Ostern 1997 hingewiesen habe.

In einigen Kantonen und – stets allen weit voran – in unserem Kanton Basel-Stadt werden immer noch und in zunehmendem Ausmass Geldbussen, die nicht bezahlt werden, in Freiheitsstrafe umgewandelt. So verhelfen Sie als Richter durch Ihre Urteile Armen, Alten, Arbeitslosen, Abhängigen, also immer Menschen in Not, zu Gefängnisaufenthalten von einem Tag bis zu drei Monaten. Diese Zeit genügt, um das Leben der Betroffenen nachhaltig zu stören oder sogar sie in den Tod zu treiben. Ausschliesslich zum Absitzen von Bussen sind in den letzten fünf Jahren in Basel 1466 Menschen in den Knast geholt worden.

Sie wissen, dass Kurzstrafen sich sozial schädlich auswirken. Das sich in Revision befindliche Strafvollzugsrecht des Bundes schafft aus dieser Erkenntnis heraus Kurzstrafen unter 6 Monaten ab. Selbst auf mittelschwere Kriminalität reagiert die Justiz sonst einsichtig mit Warnstrafen, mit bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafen. Wenn aber eine Busse nicht bezahlt wird, verwandeln Sie als Richter die Geldbusse in unbedingte Freiheitsstrafe. Wegen geringer Verstösse rauben Sie unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern ihre Freiheit. Eine solche Praxis ist sinnlos und menschenverächtlich. Sie verstösst gegen die Grundrechte.

Die Praxis ist sinnlos, weil Sie anstatt auf Fr. 30.00 zu verzichten, für unseren Staat den zehnfachen Betrag an Haftkosten kreieren, zudem mit unabsehbaren sozialen Folgekosten.

Sie reden sich vielleicht zu Ihrer Beruhigung ein, Sie handelten nach Gesetz. Wenn Sie nachdenken werden Sie feststellen, dass Sie nicht nur gegen Sinn und Geist des Gesetzes und gegen unsere Verfassung verstossen, sondern auch gegen den Wortlaut des Gesetzes. Lesen Sie den Artikel nochmals unvoreingenommen und im Sinne unserer Grundrechte durch! StGB Art. 49 Ziff. 2 verlangt die vorgängige Betreibung, wenn der Verurteilte die Busse nicht bezahlt hat, insoweit ein Ergebnis von der Betreibung zu erwarten ist. In gesetzwidriger Weise halten Sie sich gemäss neuster Praxis von dieser Vorschrift „dispensiert“, wenn der Bussenbetrag weniger als Fr. 200.00 beträgt. Dies ohne Rücksicht auf den konkreten Einzelfall. Auf geringe Ordnungswidrigkeiten reagieren Sie am massivsten. Lassen Sie sich nicht von der grossen Zahl Ihrer Geschäfte von der Vernunft abbringen.

Im Fall Claudia Federspiel haben Sie dieser Bestimmung eindeutig zuwider gehandelt und das Recht gebeugt, weil für den Richter erkennbar war, dass die Busse auf dem Betreibungsweg hätte eingetrieben werden können. Sie haben in diesem Fall nicht nur rechtswidrig, sondern auch stur und wenig kreativ auf das Anliegen von Claudia Federspiel reagiert. Claudia Federspiels Widerstand gegen staatlich angeordneten Verhältnisblödsinn steht stellvertretend für Hunderte von richterlich gemassregelten und gequälten Menschen, die schweigen.

Die Verfassung verpflichtet den Richter bei Eingriffen in die Grundrechte zu verhältnismässigem Handeln (BV Art. 36 Abs. 3). Wieso haben Sie sich darüber hinweggesetzt? Zur Einschüchterung? Zur Disziplinierung? Zur Schikane? Um gegen Arm und Reich gleich ungerecht zu sein?

Würde das staatliche Ordnungsgebäude wirklich zusammenstürzen, wenn Sie Ihre menschenverächtliche Praxis ändern? Geht unsere Steuermoral daran zu Grunde, dass der Staat Millionen an uneinbringlichen Steuern sich ans Bein streichen und abschreiben muss? Handeln all die andern Kantone, die überhaupt nicht oder nur in ganz vereinzelten Fällen zu derartigen Bussenumwandlung schreiten, entgegen dem Gesetz? Wer beugt wohl das Gesetz und handelt unmenschlich: Sie mit Ihrer lebensfeindlichen Praxis oder jene Richter, welche andere Wege gegangen sind? Es besteht die Möglichkeit, die Busse abzuarbeiten oder mit electronic monitoring abzugelten. Und zudem: Wäre es so schlimm, wenn gewisse Bussenbeträge abgeschrieben werden müssten, weil der Schuldner nicht in der Lage ist zu zahlen? Sieht das Gesetz nicht selbst den Ausschluss der Umwandlung vor, wenn der Schuldner schuldlos ausser Stand ist zu zahlen? Wieso legen Sie jetzt vielleicht den Finger auf die im Gesetz noch vorgesehene „Umkehr der Beweislast“? Wieso erkennen Sie nicht, dass diese Bestimmung aus dem Jahre 1942 der später hinzugekommenen europäischen Menschenrechtskonvention widerspricht, die eine ausdrückliche Unschuldsvermutung enthält?

Wieso kümmert es Sie überhaupt nicht, dass der Umwandlungssatz von Fr. 30.00 seit 1970 unverändert geblieben ist und der Geldwert sich inzwischen halbiert hat? Ist es Ihnen gleichgültig, dass Sie all den Menschen, die Sie zu Knast verdonnern, die doppelte Lebenszeit rauben gegenüber dem Willen des Gesetzgebers, an den Sie sich zu halten vorgeben?

Was ist Ihnen die persönliche Freiheit wert, wenn Sie aus Fr. 30.00 Busse einen Tag Freiheitsberaubung kreieren?

Sie treffen damit die Geringen und Hilflosen unserer Gesellschaft, für die auch Claudia Federspiel durch ihren Protest eintritt. Sie stossen diese Menschen in noch tiefere Not. Tun Sie das nicht vielleicht nur deshalb, weil hier kein Widerstand von Seite der Randständigen zu erwarten ist? Ist es nicht der Weg des scheinbar geringsten Widerstandes, den Sie gehen? Ist es möglich, diese Praxis beizubehalten, wenn Sie sich die Folgen Ihres Tuns vor Augen führen? Ist es als vom Volk gewählter Richter nicht Ihre Pflicht, Ihre Augen gegenüber dem Leben des „Einzelfalles“ zu öffnen und jeden Fall konkret abzuklären, bevor Sie eine Freiheitsstrafe anstelle der Busse anordnen?

Ich habe Tatsachenmaterial und Überlegungen hierzu in meiner Publikation „Justiz im Irrtum“, Schulthess, 2000 (S. 49 ff) zusammengetragen. Ich habe dort auch den geistigen Vater und Urheber des schweizerischen Strafgesetzes von 1942 wörtlich zitiert. Carl Stooss hatte in seinem Entwurf die Umwandlung von Bussen in Freiheitsstrafe ausgeschlossen und ausgeführt: „Das durch die Entziehung von Freiheit vermittelte Strafleiden ist ganz anderer Art als das durch die Entziehung von Geld vermittelte Strafleiden. Es ist daher höchst bedenklich, dass Freiheitsstrafen anstelle der Geldstrafe gesetzt wird, wenn der Verurteilte die Geldstrafe nicht bezahlen kann.“(Motive Vorentwurf 1893, Seite 62).

Ich hoffe, ich habe Ihnen aufzeigen können, dass das Gesetz und das höherrangige Verfassungsrecht, die persönliche Freiheit und nicht zuletzt Ihr Gewissen und Ihr gesunder Menschenverstand Ihnen genügend Freiraum bieten, die Paragraphen menschenfreundlich anzuwenden und auszulegen.

Unsere Richter und auch Sie selbst hier in Basel, einem der Humanität besonders verpflichteten Ort, haben im vergangenen Jahrhundert nachhaltig bewiesen, dass es auch möglich ist, unsinnige Strafpraxen sogar gegen den (toten) Buchstaben des Strafgesetzes fallen zu lassen. Was anderes haben Sie getan als Sie das Konkubinat, den Ehebruch, den Schwangerschaftsabbruch und teilweise auch den Haschischkonsum nicht mehr bestraft haben, lange bevor das Recht formell aufgehoben worden ist.

Ich frage wieder, was ist Ihnen die Freiheit des kleinen Mannes und der kleinen Frau von der Strasse wert?

Welches ist Ihr Menschenbild nach dem Sie handeln? Wann hören Sie auf, Bussen in Haft umzuwandeln? Wann wandeln Sie Paragraphen in Recht und Recht in Gerechtigkeit um?

Was hält Sie zurück, diesen kleinen Schritt auf dem langen Weg zur menschlichen Gesellschaft sofort zu tun?

Ich hoffe, dass Sie einen Mutanfall bekommen, der Sie befähigt, künftig Bussen nicht mehr in Freiheitsstrafe umzuwandeln. Es liegt ganz an Ihnen.

Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen.

Mit freundlichen Grüssen

Der Private Ombudsmann
Dr. Peter Zihlmann