Tagesanzeiger, Der Bund, Thurgauer Zeitung, 24.03.2010
Mit amtlichem Segen ist die Frau nach Basel zurückgekehrt, die im Jahr 2000 ihren Schwiegersohn erschoss.
Das Buch Peter Zihlmann: Basel–Pristina. Orell Füssli 2007. Im Buchhandel vergriffen; einige Exemplare sind beim Autor nochverfügbar. SF 1 zeigt am Montag, 29. März 2010, um 22.50 Uhr den Film «Todesschüsse in Basel – Eine Ausweisung und ihre Folgen» von Alain Godet. |
Vor zehn Jahren hat Salihe P. in Basel ihren Schwiegersohn umgebracht. Dieser hatte ihre 17-jährige Tochter über lange Zeit hinweg misshandelt und eingesperrt. Die Tat, die Verurteilung und die Ausschaffung der Kosovarin hatten landesweit Aufsehen erregt.
Unbemerkt von der Öffentlichkeit durfte die heute 49-jährige Salihe P. jetzt wieder in die Schweiz einreisen – wenige Tage vor der heftigen Debatte im Ständerat über die Ausschaffungsinitiative von vergangener Woche. Kommt die Initiative der SVP oder der Gegenvorschlag, den die kleine Kammer unterstützt, durch, müssen Ausländer die Schweiz für immer verlassen, wenn sie eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und mehr kassieren.
Sechseinhalb Jahre Haft
Urteile wie jenes gegen Salihe P. wären dann nicht mehr möglich: Das Basler Strafgericht hatte die Kosovarin zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt, sah aber ausdrücklich von einem Landesverweis ab. Am 18. April 2000 hatte die Täterin in Kleinbasel sieben Schüsse auf ihren Schwiegersohn, ebenfalls einen Kosovaren, abgegeben.
Entgegen dem Gerichtsentscheid erliess das Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt im November 2003 eine Ausweisungsverfügung. Salihe P., so fand das Amt, habe eine «Tötung aus nichtigem Grund» begangen. Sie bedeute in der Schweiz eine «Gefahr für Ordnung und Sicherheit».
Tochter schwer misshandelt
Die Familie der Verurteilten legte Rekurs gegen die Wegweisung ein. Doch alle Instanzen bis zum Bundesgericht wiesen die Einsprache ab. Salihe P. wurde nach ihrer Entlassung aus der Strafanstalt Hindelbank am 5. November 2004 nach Kosovo ausgeschafft. In Basel zurück blieben Ehemann Isuf und die vier gemeinsamen Kinder.
Der Gatte hatte ein gut gehendes Ausflugsrestaurant in der Region geführt, doch nach der Inhaftierung seiner Frau verlor er den Pachtvertrag. Die Gerichtskosten frassen sämtliche Ersparnisse auf. Tochter Teuta, die von ihrem Ehemann schwer misshandelt worden war, musste mehrere Organtransplantationen über sich ergehen lassen und sehnte sich nach dem Beistand ihrer Mutter.
Ein Film dokumentiert die Geschichte
Ein Buch des Basler Juristen Peter Zihlmann und ein Film des Regisseurs Alain Godet dokumentieren die Familiengeschichte. Sie zeigen auch, wie Salihe P. in Kosovo zuerst auf der Strasse lebte. Der Obdachlosen bot eine alte, ihr unbekannte Frau Unterschlupf in ihrer Hinterhofhütte an, ohne Heizung und fliessendes Wasser.
Die Ausstrahlung des Films im Schweizer Fernsehen bewegte im August 2008 viele Zuschauer. Fachleute setzten sich für die Ausgeschaffte ein. Der Zürcher Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger bezeichnete die fremdenpolizeiliche Verfügung als «sehr hart». Der frühere Basler Strafgerichtspräsident Peter Albrecht stellte auf Telebasel fest, die Interessenabwägung sei im vorliegenden Fall «sehr einseitig zulasten der Familie ausgefallen».
Ein Happy End mit Fragezeichen
Zur Überraschung der Angehörigen boten die Basler Behörden schliesslich Hand zu einer Art Kunstgriff: Sie hoben die Einreisesperre gegen Salihe P. zwar nicht auf. Doch sie legten dem Juristen Zihlmann nahe, im Namen des Ehemannes ein Gesuch um Familiennachzug zu stellen. Am 28. Januar 2010 hiess das kantonale Amt für Bevölkerungsdienste und Migration den Antrag gut. «Zwecks Verbleib beim Ehemann» darf Salihe P. zurück nach Basel. Die Behörden machten die Auflage, dass die Frau Arbeit finden müsse. Bliebe Salihe P. arbeits- und mittellos oder käme es zur Trennung von ihrem Gatten, müsste sie wiederum nach Kosovo zurückkehren. Für den Juristen Zihlmann ist dies paradox: «Damit wird genau jene Situation geschaffen, die wir den patriarchalisch geprägten Gesellschaften auf dem Balkan oder anderswo vorwerfen: dass die Frau auf Gedeih und Verderb dem Mann ausgeliefert ist.»
Vor wenigen Tagen ist Salihe P. zu ihrer Familie zurückgekehrt, von der sie zehn Jahre getrennt gelebt hat.
von Martin Leutenegger