Nach der Ausschaffung kehrt Salihe P. zurück in ihr Leben

Die Südostschweiz, 25. März 2010

Die SVP will mit ihrer Ausschaffungsinitiative mehr kriminelle Ausländer nach Hause schicken können. Was dies bedeuten kann, zeigt der Fall von Frau P., die nach der Tötung ihres Schwiegersohnes des Landes verwiesen wurde und jetzt zurückgekehrt ist.

von Martin Leutenegger

Basel. — Vor wenigen Tagen ist Salihe P. aus dem Kosovo zu ihrer Familie nach Basel zurückgekehrt, nachdem das Amt für Bevölkerungsdienste und Migration am 28. Januar dazu die Bewilligung erteilte. Der Fall der heute 49-Jährigen hatte landesweit für Aufsehen gesorgt, nachdem der Jurist Peter Zihlmann 2007 darüber ein Buch geschrieben und Regisseur Alain Godet fürs Schweizer Fernsehen 2008 einen Beitrag für die Serie «Wenn Frauen töten» gedreht hatte.

Buch und Film beschönigten die Tatsachen nicht: Am 18. April 2000 erschoss die Kosovarin im Verlauf eines heftigen Streits ihren Schwiegersohn, nachdem dieser ihre damals 17-jährige Tochter über lange Zeit hinweg misshandelt und eingesperrt hatte. Zwei Jahre danach verurteilte das Basler Strafgericht die Frau zu sechseinhalb Jahren Gefängnis. wobei das Gericht ausdrücklich davon absah, als Nebenstrafe einen Landesverweis zu verhängen; schliesslich hatte sich die Frau während ihrer zehnjährigen Anwesenheit nichts zuschulden kommen lassen. Sie galt mit ihrer Familie als in der Schweiz verwurzelt.

suedostschweiz1Die Fremdenpolizei des Kantons Basel-Stadt sah die Sache jedoch anders und erliess bereits im November 2003 eine Ausweisungsverfügung, weil Salihe P. an ihrem Schwiegersohn eine «Tötung aus nichtigem Grund» begangen habe und für die Schweiz eine «Gefahr für Ordnung und Sicherheit» bedeute. Die Rekurse der Familie P. wurden durch alle Instanzen abgelehnt. Im September 2004 wies auch das Bundesgericht die Beschwerde ab, unter anderem mit der Begründung, es sei den kantonalen Behörden freigestellt, zusätzlich zur gerichtlich verhängten Strafe eine Ausweisung zu verfügen. Nach ihrer Entlassung aus der Strafanstalt Hindelbank wurde Salihe P. in Ausschaffungshaft gesetzt und am 5. November 2004 in den Kosovo ausgeschafft.

Mann und Kinder bleiben zurück

In Basel zurück blieben der Ehemann von Frau P. sowie die vier gemeinsamen Kinder. Isuf P. hatte zuvor ein gut gehendes Ausflugsrestaurant geführt, nach der Inhaftierung seiner Frau verlor er jedoch den Pachtvertrag, ausserdem frassen die Gerichtskosten sämtliche Ersparnisse auf. Die misshandelte Tochter Teuta, inzwischen selber Mutter geworden, musste mehrere Organtransplantationen über sich ergehen lassen und sehnte sich nach dem Beistand ihrer Mutter. Doch diese lebte inzwischen im fernen Kosavo, wo sie niemanden kannte und auf der Strasse hauste, bis sie von einer fremden Frau aufgenommen wurde. Diese stellte ihr einen Teil ihrer Hinterhofhütte zur Verfügung, ohne Heizung und fliessendes Wasser. Alle Gesuche um eine Aufhebung der Einreisesperre in die Schweiz wurden abgewiesen, kurze Besuche wurden nur erlaubt über Weihnachten 2007 und Ostern 2008. als auch die Dreharbeiten für den Pilot des Schweizer Fernsehens stattfanden.

Nach der Ausstrahlung des Films im August 2008 reagierte das Publikum teilweise heftig. Die grosse Mehrheit war der Auffassung, eine Ausschaffung — verbunden mit dem Auseinander-reissen einer Familie und der Verbannung der Mutter in die Obdachlosigkeit — decke sich nicht mit dem allgemeinen Rechtsempfinden. Der Zürcher Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger bezeichnete die fremdenpolizeiliche Verfügung als «sehr hart», andere sprachen gar von «Unmenschlichkeit». Der langjährige Basler Strafgerichtspräsident und Professor für Strafrecht und Strafverfahrensrecht, Peter Albrecht, stellte gegenüber dem SenderTelebasel fest, die Interessenabwägung sei im vorliegenden Fall «sehr einseitig zu Lasten der Familie ausgefallen».

Die Medien griffen den Fall auf, und bei Buchautor Zihlmann trafen Dutzende von Reaktionen von Menschen ein, die der Meinung waren, Familie sei durch die Basler Behörden Unrecht widerfahren. Eine Zuger Rechtsanwältin schrieb gleich an den Basler Regierungsrat: «Das Recht auf Ehe und Familie gilt nicht nur für Schweizer und Schweizerinnen, sondern ausdrücklich für alle Menschen (Art. 8 und 41 BV). Durch Verweigerung der Wiedereinreise wird nicht nur dieses Grundrecht von Frau P. verletzt, sondern auch die Rechte der übrigen Familienmitglieder.»

Happy End mit Fragezeichen

Er habe die Hoffnung eigentlich schon fast verloren gehabt, erzählt Zihlmann der «Südostschweiz», da hätten die Basler Behörden überraschend zu einer Art «Kunstgriff» Hand geboten: Die Einreisesperre sollte zwar nicht aufgehoben werden, doch Zihlmann wurde nahe gelegt, im Namen des Ehemannes ein Gesuch um Familiennachzug zu stellen. Dieses Gesuch wurde am 28. Januar bewilligt. Seit Kurzem ist Salihe P. nun wieder mit ihrer Familie vereint, von der sie – durch Gefängnis und Ausweisung – zehn Jahre getrennt leben musste.

Die Rückkehr war auch für das Schweizer Fernsehen ein Grund, die Geschichte nochmals aufzugreifen. «Todesschüsse in Basel—Eine Ausweisung und ihre Folgen» heisst der Film von Alain Godet, der am Montag, 29. März, gesendet wird. Eine «Geschichte, die zum Alptraum wurde und nun ein versöhnliches Ende gefunden hat», schreibt das Schweizer Fernsehen im Vorfeld der Ausstrahlung. Ob es zu einem Happy End kommt, wird sich wohl erst erweisen, denn die Familie steht unter erheblichem Druck — nicht nur, weil sie mittlerweile in der ganzen Schweiz bekannt ist. Familien, die —beispielsweise durch Flucht, politische Geiselnahme oder Kriegsgefangenschaft — für längere Zeit auseinandergerissen wurden, haben es oft schwer, nach der Wiedervereinigung ein normales, harmonisches Leben zu führen.

Bei Familie P. verschärft sich die Situation noch dadurch, dass Saline P. laut Zihlmann ausdrücklich nur in die Schweiz zurückkehren durfte «zwecks Verbleib beim Ehemann» —dies verbunden mit der Auflage, dass sie Arbeit findet. Bliebe Salihe P. arbeits- und mittellos oder käme es zur Trennung von ihrem Gatten, müsste sie wiederum in den Kosovo zurückkehren. Für Zihlmann eine paradoxe Sache: «Damit wird genau jene Situation geschaffen, die wir den patriarchalisch geprägten Gesellschaften im Balkan oder anderswo vorwerfen: dass die Frau auf Gedeih und Verderben dem Mann ausgeliefert ist.»

Es werden noch mehr werden

Die Ausschaffung von Salihe P. geschah nach bisherigem Recht. Schon heute werden jährlich gegen 400 Personen aus der Schweiz ausgeschafft. Mit der Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative, die auch Bagatelldelikte einschliesst, würden in Zukunft jedes Jahr rund 1500 Ausländerinnen und Ausländer in ihre Ursprungsländer ausgeschafft, mit dem vom Ständerat jetzt im März ausgearbeiteten Gegenvorschlag wären es immer noch deren 800. Nach Annahme der Initiative bzw. des Gegenvorschlags, so die Befürchtung von Zihlmann, würden Ausschaffungen aus der Schweiz zwingend. «Es würde absolut keine Abwägung im Einzelfall mehr geben», gibt Peter Zihlmann zu bedenken, «sondern nur noch rein abstrakt entschieden».

Buch und Film
Das Buch: Peter Zihlmann, «Basel—Pristina» (Orell Füssli 2007). Im Buchhandel vergriffen; einige Exemplare sind beim Autor noch verfügbar.
Der Film: «Todesschüsse in Basel – Eine Ausweisung und ihre Folgen» von Alain Godet.

Die Initianten

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Alain Godet (links) und Peter Zihlmann.

Dass der Fall van Salihe P. nach so langer Zeit überhaupt wieder aufgenommen wurde, ist vor allem auf den Einsatz von zwei Personen zurückzuführen: Von Anfang an sehr engagiert war Peter Zihlmann (72). Der Jurist war während 21 Jahren als Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Gerichtspräsident in Basel tätig. Später wirkte er als Ombudsmann und verfasste mehrere Bücher.
Den Film zu Zihlmanns Buch und die aktuelle Fortsetzung drehte Alain Godet (59). Godet studierte Ethnologie, Geschichte, Theologie und Philosophie, arbeitete anschliessend als Live-Regisseur beim Schweizer Fernsehen (SF) und ist seit 1990 als Dokumentarfilmer tätig. (ml)