Zwangseinweisungen: Kurzer Prozess

Basler Zeitung, 20.05.2003

Das Verfahren für Zwangseinweisungen in die Psychiatrische Klinik ist unbürokratisch und geht so schnell, dass auch gesunde Menschen plötzlich in der Psychiatrischen Universitäts-Klinik (PUK) landen können. Gefahr lauert etwa am Arbeitsplatz.

Jeden Tag verschwinden alleine in Basel zwei bis drei Menschen für unterschiedlich lange Zeit hinter den Mauern der Psychiatrie. Darunter gibt es etliche höchst umstrittene Fälle, wie zwei Fälle von zwei Basler Staatsangestellten zeigen. Die Staatsangestellte Monika C. wurde an ihrem Arbeitsplatz gemobbt. Mehrmals führte sie deshalb Gespräche mit ihrem Vorgesetzten – bis es diesem zu viel wurde und er die Polizei einschaltete, «aus Angst», Monika C. würde ausrasten. Kurz darauf wurde Monika C. in Polizeibegleitung und per ärztliches Dekret in die Psychiatrische Universitätsklinik (PUK) eingewiesen.

Ähnliches widerfuhr Hanna D., einer gelernten KV-Angestellten und Ex-Bankerin. Sie arbeitete in der Kantonsverwaltung und befand sich im Dauerclinch mit ihrer Vorgesetzten. Diese veranlasste die Zwangseinweisung, indem sie den kantonsärztlichen Dienst alarmierte, die zuständige Stelle für «die Fürsorgerische Freiheitsentziehung (FFE)», wie das Gesetz die Zwangseinweisungen umschreibt. «Eines Tages wurde ich während der Arbeit zum Amtsarzt gerufen», sagt Hanna D., «er hat mir eröffnet, dass ich vor einer Zwangseinweisung stehe.» Zwei Tage später, Ende Januar, wurde sie in die geschlossene Abteilung der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) eingeliefert.

Kurz und unbürokratisch

Die FFE ist ein kurzer unbürokratischer Prozess: Eine halbe Stunde, sagt Dr. Paul Vogt, stellvertretender Basler Kantonsarzt und Leiter des FFE-Teams im kantonsärztlichen Dienst, würde normalerweise die Unterredung mit einem FFE-Kandidaten dauern. Und dann wird entschieden, ob der Kandidat für bis zu drei Monate in die PUK eingeliefert werde oder nicht. Aber, so unterstreicht Dr. Vogt, die Betroffenen würden immer darüber informiert, dass sie an die Rekurskommission rekurrieren könnten. Die Rekurskommission entscheidet in einem einfachen und raschen Verfahren, ob ein Zwangseingewiesener in der PUK zurückbehalten werden darf oder nicht. Für Marco Borghi, Fribourger Rechtsprofessor und Verfasser einer juristischen FFE-Studie, ist die Rekurskommission ein vorbildliches Instrument. Denn in Basel würden Leute vom Fach über FFE-Rekurse entscheiden: Ein Psychiater, eine so genannte psychosoziale Fachperson und ein Jurist. In anderen Kantonen sind dafür juristische Einzelrichter oder Verwaltungsgerichte zuständig.

Was in der Theorie überzeugt, erlebt der Basler Anwalt und Private Ombudsmann Peter Zihlmann in der Praxis anders. Aufgrund seiner Bemühungen wurde Monika C. bereits nach fünf Tagen aus der PUK entlassen. «Offensichtlich haben sie gemerkt, dass sie einen Blödsinn gemacht hatten», so Zihlmann. Monika C. rekurrierte nachträglich gegen ihre Zwangseinweisung. Doch die Rekurskommission entschied gegen sie und begründete dies folgendermassen: Zwar müsse der Staat beweisen, dass jemand verwahrlost, geisteskrank oder geistesschwach sei, um ihn in die PUK einzuliefern. Doch könne man erwarten, dass diese Person mithelfe und sich begutachten lasse. Monika C. habe sich unkooperativ verhalten. Rekurs abgewiesen. «Als Bürger war ich von diesem Entscheid betroffen, als Jurist habe ich mich dafür geschämt», sagt Zihlmann, «denn die Frau ist gesund, die Zwangseinweisung ein Unrecht.» Auch der Rekurs von Hanna D. wurde abgewiesen, obwohl ihre Zwangseinweisung im Nachhinein als Racheakt ihrer Vorgesetzten erscheint.

«…dringend eine Therapie»

«Psychiatrie-Ärzte tendieren dazu, schnell zu sagen, der Patient benötige dringend eine Therapie, also müsse er in die Klinik», sagt der stellvertretende Kantonsarzt Vogt. Darum setze sich das derzeitige FFE-Team vorwiegend aus Nicht-Psychiatern zusammen. Anders die Rekurskommission. Zwar entscheiden formell nebst dem Psychiater auch Juristen und so genannte psychosoziale Fachleute über die Rekurse. Ein Mitglied der Rekurskommission bestätigt aber gegenüber der BaZ: «Ich kenne mich mit Psychiatrie zu wenig gut aus, als dass ich mir selber ein Urteil bilden könnte. Wenn unser Psychiater sagt, eine Zwangseinweisung sei gerechtfertigt, dann schliesse ich mich dieser Einschätzung an.» Die Rekurskommission weist 85 Prozent aller Rekurse ab.

Diese Zahlen gefallen den Ärzten vom FFE-Team: Dem stv. Kantonsarzt Vogt etwa bestätige ein abgewiesener Rekurs, dass die Einweisung richtig gewesen sei. Anders sieht es der Anwalt der Betroffenen. «Aufgrund der Statistiken und meiner Erfahrungen muss ich sagen: Die Rekurskommission ist eine Farce», so Zihlmann. Man höre zwar die Betroffenen und deren Anwälte an und produziere Papiere. Doch aus staatlicher Fürsorge heraus wird die Freiheit lieber einmal zu viel entzogen als zu wenig: Die einweisenden Ärzte verlassen sich auf die Rekurskommission. Diese stützt ihre Entscheide auf eine Person, den Psychiater, der im Zweifelsfalle gegen den Betroffenen entscheidet. Auch wenn dadurch gesunde Menschen in der PUK landen.

Jean-François Tanda


Interview mit Peter Zihlmann über die Zwangspsychiatrie*

Herr Zihlmann, in Basel werden täglich zwei bis drei Personen zwangsweise in die PUK eingeliefert, mehr als doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Ärzte erklären das mit der weltpolitischen und wirtschaftlichen Lage. Denken Sie das auch?

Nein, das ist eine ungenügende Erklärung. Es geht nicht um eine Krankenstatistik, sondern um Anstaltseinweisungen, die als «fürsorglich» deklariert werden. Der FFE ist eine Zwangsmassnahme gegen den Willen des Betroffenen. Die Frage lautet, wie wir mit Zwang umgehen. Wir sind die Täter, die Zwang anwenden, nicht die Kranken.

Sie vertreten Klienten, die von solchen Massnahmen betroffen sind. Nicht alle davon sind eindeutig fürsorgebedürftig. Gibt es Ähnlichkeiten, Charakteristiken, die immer wieder zu erkennen sind?

Die Ähnlichkeiten liegen in ihrem auffälligen, abweichenden, teilweise bizarren Verhalten. Aber jeder Fall hat sein eigenes Gesicht.

Einmal eingewiesen, scheint es sehr schwierig, wieder aus der PUK entlassen zu werden. Je nach Quelle werden nur 6 bis 15 Prozent der Beschwerden von der Rekurskommission gutgeheissen. Warum?

Die Rekurskommission ist eine Farce. Das ist meine Erfahrung und spiegelt sich in der Statistik. Grundsätzlich trägt der einweisende Arzt die Verantwortung für seinen Entscheid. Nur: Heute ist es so, dass sich die Klinikärzte wie Pontius Pilatus salvieren, in dem sie den Patienten dazu ermutigen, gegen den Einweisungsentscheid zu rekurrieren. Dann kommen die Juristen zum Zuge. Allerdings können die auch nichts anderes sagen als der Arzt, und segnen den ärztlichen Entscheid in 90 Prozent der Fälle ab.

Worauf stützt die Rekurskommission denn ihre Entscheide?

Der Gutachter (ein Psychiater, Anm. der Red.) macht eigene Erhebungen. Aber die Betroffenen sind bereits eingewiesen. Der Gutachter redet mit den Ärzten und kann auf die Patientenakten zugreifen; der Entscheid ist bereits vorgespurt. Käme der Gutachter zum Ergebnis, die Einweisung sei ungerechtfertigt, würde er den einweisenden Arzt desavouieren. Das kommt praktisch nie vor, wir wollen ja immer nett sein zueinander. Diese geteilte Verantwortung ist eine Falle: Der einweisende Arzt fühlt sich durch die Rekurskommission entlastet, und die Rekurskommission vertraut auf den Arzt. Zur Verantwortung gezogen werden Ärzte, wenn sie Patienten entlassen und dann etwas passiert, nicht jedoch, wenn sei sie behalten.

Gibt es in den anderen Kantonen anstelle der Rekurskommission Institute, die besser funktionieren?

Ich glaube nicht, dass es am Modell liegt, sondern am Zeitgeist. Bei der Einführung der Bestimmungen 1981 über die Zwangseinweisungen hat man den freiheitliche Geist nicht verordnen können.. Man hört die Betroffenen zwar an, hört dem Anwalt zu und produziert Papiere. Aber es fehlt der Wille, die Freiheit dieser Menschen hochzuhalten. Die Toleranz abweichendem Verhalten gegenüber hat stark abgenommen. Die Gesellschaft wechselt von der Repression zur Prävention, man will frühzeitig Schlimmes verhindern. Auch George Bush führt ja einen Präventivkrieg.
* Dieses im Auftrag der BaZ im März 2003 durchgeführte Interview wurde nicht publiziert!