Zihlmanns neues Buch: Macht Strafe Sinn?

netzpress, 6. Juni 2002

Peter Zihlmann, streitbarer Strafverteidiger, Netzpress-Kolumnist und privater Ombudsmann in Basel, hat sein neues Buch vorgestellt. „Macht Strafe Sinn?“ Unter diesem Titel wirft Zihlmann Fragen auf, die nur scheinbar wider jeden rechtsstaatlichen Verstand laufen. Zihlmann zeichnet eine Vision, über die sich nachzudenken lohnt.

Peter Zihlmanns neues Buch: Macht Strafe Sinn?

Beatrice Blazek

Basel – Macht Strafe Sinn? Die Frage mag provokativ klingen. Und wer sie im Zusammenhang mit der Justiz stellt, könnte leicht in Verdacht geraten, die rechtsstaatliche Ordnung aus den Angeln heben zu wollen. Der Basler Rechtsanwalt Peter Zihlmann hat sie aufgeworfen – in seinem neusten Buch ‚Macht Strafe Sinn?‘ Die Vernissage fand in der Elisabethenkirche in Basel statt.

Kriminalität ist ein individuelles und gesellschaftliches Problem. Tagtäglich wird gestohlen, geraubt, betrogen, vergewaltigt – werden Gesetze gebrochen. Strafe als staatliches Sanktionsmittel folgt meistens auf dem Fuss. Geregelt durch das Schweizerische Strafgesetz, die Strafprozessordnungen der einzelnen Kantone und der Hausordnungen der Zuchthäuser. Das Strafprinzip scheint zu funktionieren. Doch der Bürger sieht nicht hinter die Kulissen, weder hinter jene, die zur Delinquenz geführt haben noch hinter jene der Gerichte und der Zuchthäuser. Aus den Augen aus dem Sinn. Aber die meisten Straftäter kehren zurück in die Gesellschaft. Und genau an diesem Punkt zeigt sich der Erfolg oder Misserfolg des Strafprinzips, wie es – geboren aus dem römischen Recht – bis heute funktioniert.

Artikel 37 des Schweizerischen Strafgesetzbuches misst der Resozialisierung eine vorrangige Bedeutung zu: ‚Der Vollzug der Zuchthaus- und Gefängnisstrafe soll erziehend auf den Gefangenen einwirken und ihn auf den Wiedereintritt in das bürgerliche Leben vorbereiten. Er soll zudem darauf hinwirken, dass das Unrecht, das dem Geschädigten zugefügt wurde, wiedergutgemacht wird.‘ Resozialisierung und Wiedergutmachung hat sich die Justiz auf ihr Banner geschrieben. Doch zeigt die Statistik, dass eine hohe Zahl Strafentlassener rückfällig werden und eine bescheidene Zahl der Straftäter sich ernsthaft mit ihrer Tat auseinandersetzt und eine Wiedergutmachung gegenüber den Opfern anstrebt. Wer hat versagt? Das menschliche Individuum? Die Gesellschaft? Der Strafvollzug? Keine dieser Fragen kann mit einem schlichten Ja oder nein beantwortet werden. Zu wechselseitig sind die Verflechtungen.

peternetz2Es ist kein Verdienst des Einzelnen, wenn ihn seine Biographie nicht an den Punkt führt, wo er das Unbegreifliche begeht. Es soll sich keiner über den anderen erheben, im Glauben, ihm könne ’so etwas‘ nicht passieren. Aber viele schreien laut auf. Sie rufen nach härteren Massnahmen im Strafvollzug, nach Verwahrung, nach ‚Unschädlichmachung‘ des Delinquenten. Sie sehen in der Bestrafung eines Mitmenschen die Möglichkeit, ihre eigene Angst, ihr eigenes Schuldbewusstsein weiter im Schattendasein ihrer Seele unter Verschluss zu halten. Der Abgrund braucht sich nicht aufzutun. Der Ausgegrenzte steht stellvertretend für die eigenen dunklen, furchteinflössenden Tiefen. ER ist der Verbrecher, ER ist der Vergewaltiger, ER ist der Mörder – doch nicht das eigene ICH. ‚L’enfer, c’est les autres’ wie Voltaire sagte – ‚Die Hölle, das sind die anderen’.
Wer die Welt so sieht, wird weiter nach ‚Wasser und Brot‘ und ‚Einsperren und den Schlüssel wegwerfen‘ schreien. Er wird die Welt nie mit anderen Augen sehen, denn die Angst, die sein Leben ihm einflösst, lässt ihn schreien.

Schuld und Sühne: das ist die Forderung jener, die das Leben als Bedrohung wahrnehmen. Es muss seine Ordnung haben – das Leben. Hier die Guten – dort die Bösen; hier die Rechtschaffenen, dort die Verbrecher – das gibt Sicherheit.
Schuld und Vergebung: das ist der Weg derer, die erkennen, dass sie die Verstrickung menschlicher Schuld nicht durchschauen können. Dass es keine Erklärung gibt für das Leben – für Gut und Böse. Dass unser Erkennen nur Stückwerk im Vergleich zu dem, was sich dahinter verbirgt. Dass ein Unrecht durch ein anderes nicht gutzumachen ist und Wege beschritten werden müssen, die den Menschen vielleicht zum Grössten hinführt, wozu er fähig ist, nämlich zur Vergebung.

Peter Zihlmann hat sich mit seinem neusten Buch ‚Macht Strafe Sinn?‘ auf dieses vielschichtige Parkett begeben. Der Autor geht der Frage nach dem Sinn der Strafe nach und sucht nach Wegen, mit Opfer und Täter solidarisch zu sein. Er zeigt auf, wie Richten und Verurteilen vor Gericht funktioniert. Anhand von zwölf Fallgeschichten und sieben Fragen an die Justiz führt Zihlmann in tiefgründigen Reflexionen durch diese letztlich philosophische und ethische Grundsatzbetrachtung. Der Mensch vor dem Gesetz – vor dem Richter, der auch wiederum Mensch ist. Schuld und Sühne – Alternativen – es sind grosse Fragen, die der Autor anpackt.

Gross war auch das Interesse an der Buchvernissage am 4. Juni in der Elisabethenkirche in Basel. Gespannt lauschten die Besucher in den fast voll besetzten Rängen den Gedanken des Autors. Es ist zu wünschen, dass sich die Gesellschaft mehr als dies bis heute der Fall ist, ihrer Verantwortung für die Wurzeln von Gewalt und Verbrechen bewusst wird, dass sie die wechselseitige Beziehung zwischen dem einzelnen Individuum und der Gemeinschaft erkennt und nach Wegen und Alternativen sucht, die ein sinnloses Wegsperren von Mitmenschen hinter Schloss und Riegel überflüssig macht. Denn letztlich ist mit der bisherigen Praxis von staatlichen Sanktionsmitteln niemandem geholfen: dem Opfer nicht, ebenso wenig der Gesellschaft und dem Täter. Das Buch von Peter Zihlmann leistet einen wichtigen Beitrag dazu.

Peter Zihlmann
Macht Strafe Sinn?
Sieben Fragen und ein Dutzend Fallgeschichten rund um Recht und Gerechtigkeit
Schulthess Juristische Medien, Zürich 2002