Interview zum Theaterstück «Terror»

Die Zuschauer des Theaterstückes TERROR in Basel stellen sich wahrscheinlich die Frage, wie würde die Luftwaffe der Schweiz auf einen derartigen Entführungsfall reagieren? Würde ebenfalls ein Abschussbefehl generell unterbleiben und hätte der Pilot in einem einsamen Gewissensentscheid selbst zu entscheiden? Müsste ein Militärpilot auch in der Schweiz am Ende mit einem belastenden Strafprozess rechnen?

Die Förnbacher Theater Company (nachfolgend FTC) hat den Publizisten und Richter a.D. Peter Zihlmann ersucht, diese Frage für ihr Publikum abzuklären. Zihlmann hat mit dem Chef der Operationszentrale der Luftwaffe und Projektleiter zur Einführung der permanenten Luftpolizei (LP24), Oberst i.Gst Peter Bruns, im Flugsicherungszentrum in Dübendorf am 27. Februar 2017 das nachfolgend auszugsweise wiedergegebene Gespräch geführt:

FTC: Oberst Bruns, falls sich eine Flugzeugentführung wie im Stück „Terror“ geschildert, tatsächlich unter schweizerischer Lufthoheit ereignete, wie würde die Schweizer Luftwaffe reagieren?

BRUNS: Wir würden zur Wahrung unserer Lufthoheit mit einem bewaffneten Kampfjet das entführte Flugzeug begleiten, Funk- und Sichtkontakt aufnehmen und versuchen, es wieder auf seinen Kurs zu bringen oder zur Landung zu veranlassen. Dies geschähe je nach Ausgangslage in Kooperation mit den Nachbarstaaten, mit denen entsprechende Abkommen bestehen (zur Zeit noch nicht mit Österreich). Der Pilot könnte zur Warnung Magnesiumfackeln abfeuern. Zur Gefahrenabwehr dürfen im Luftpolizeidienst auch Verfolgungen über das schweizerische Hoheitsgebiet hinaus vorgenommen werden bis der Nachbarstaat die Verfolgung seinerseits aufnehmen kann. Das gilt auch vice versa. Wenn keine positive Reaktion seitens der entführten Flugzeugbesatzung erfolgte, könnte der Vorsteher des Verteidigungsdepartementes oder, sofern eine entsprechende Delegation vorliegt, der Chef der Luftwaffe, bei entsprechend klarer akuter Gefährdungslage, den Abschuss erlauben. Im Fall von Notwehr oder Notstand kann der Pilot oder die Einsatzleitung über den Waffeneinsatz entscheiden.
Vorher wäre die Räumung des Stadions zu erwägen. Der Abschuss wäre die ultima ratio zur Abwendung der noch ungleich grösseren Katastrophe, die unmittelbar absehbar ist: Zum Beispiel der von Terroristen gelenkte Absturz eines Zivilflugzeuges in eine vollbesetzte Sportarena. Ein Abschuss wäre dann auch vom Boden aus durch die Fliegerabwehr zulässig.

FTC: Das schweizerische Luftrecht würde somit den Abschuss eines Zivilflugzeuges im Extremfall zulassen – im Unterschied zur Rechtslage in Deutschland?

BRUNS: Seit dem 1. Januar dieses Jahres (2018) bildet das Militärgesetz in Art. 92a die gesetzliche Grundlage für einen Waffeneinsatz gegen Luftfahrzeuge im Fall von Notstand oder Notwehr. Vorher war das auf Stufe Verordnung geregelt. Wird das Luftfahrzeug zur Waffe in der Hand der Terroristen wie im Stück TERROR, dürfte es trotz des grundsätzlichen völkerrechtlichen Verbots, Waffen gegen Zivilflugzeuge einzusetzen, im äussersten Fall abgeschossen werden.

FTC: Werden die Piloten der Schweizer Luftwaffe für den Fall Renegade* geschult und ist ihnen bewusst, dass sie im Notfall mit dem Befehl rechnen müssen, ein Flugzeug in Terroristenhand mit unschuldigen Passagieren abzuschiessen?

*Verwendung eines Verkehrsflugzeugs als Waffe

BRUNS: Durchaus. Seit 2003 schützt die Luftwaffe beispielsweise das jährlich stattfindende Word Economic Forum WEF in Davos mit bewaffneten Flugzeugen. Ähnliche Einsätze fanden beispielsweise auch zum Schutz der EURO 08 oder der OSZE Konferenz in Basel statt. Alle Militärpiloten werden für solche Einsätze regelmässig geschult und auch mit den rechtlichen Voraussetzungen vertraut gemacht. Die Piloten sind sich der Tragweite eines derartigen Einsatzes und ihrer Verantwortung vollumfänglich bewusst. Gegenwärtig wird die Interventionsfähigkeit im Luftpolizeidienst stufenweise ausgebaut. Ab Ende 2020 werden rund um die Uhr an 365 Tagen zwei bewaffnete Kampfjets für Luftpolizeieinsätze bereitstehen.

Das Dilemma eines Waffeneinsatzes stellt sich aus Sicht des Einsatzleiters etwas anders dar als im Theaterstück geschildert. Wir haben zwar exzellente Informationsflüsse, kleine Entscheidungsteams und kurze Befehlswege, aber wir können nicht davon ausgehen, dass Terroristen uns vorher genau angeben, was sie vorhaben und kommunizieren, dass sie ein vollbesetztes Sportstadion avisieren. Die Ungewissheit wird auch für die Einsatzleitung gross und der Zeitdruck enorm sein. Es wird zu einer „Kompression der Zeit“ kommen durch eine Unzahl interpretationswürdiger und auch widersprüchlicher Informationen über den Geschehensablauf der Entführung. Die Einschätzung der Situation kann sich im Minuten- oder sogar Sekundentakt ändern. Nicht alles lässt sich operationalisieren und digitalisieren, vieles bleibt subjektive Wahrnehmung. Auch der Pilot im Einsatz trägt die Verantwortung der Letztentscheidung bei sich sichtbar plötzlich ändernden Verhältnissen. Aus einer Ex-Post-Sicht wird ein einmal getroffener Einsatzentscheid kaum allen Beteiligten einleuchten und deren volle Zustimmung finden.

FTC: Darf das Leben von wenigen Unschuldigen gegen das Leben vieler Unschuldiger aufgewogen werden?

BRUNS: Genau genommen ist es kein Abwägen von Leben gegeneinander. Bei sicherer Ausgangslage handelt es sich um Schadensminimierung: Die Passagiere werden auch ohne Eingriff in wenigen Minuten nach dem Willen der Terroristen sterben. Es geht darum, eine noch viel grössere Katastrophe zu verhindern. Die Schutzverpflichtung des Staates der Bevölkerung gegenüber verpflichtet uns im Extremfall zum Handeln.

FTC: Oberst Bruns, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Nach Ansicht von Peter Zihlmann hätte ein Militärpilot, der in einer hot mission wie renegade einen Abschussbefehl befolgt, in der Schweiz keine Anklage wegen vorsätzlicher Tötung oder Mord zu gewärtigen. Ausserdem hätte er sich weder vor einem zivilen Strafgericht noch vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona zu verantworten, sondern unterstünde der Militärjustiz, käme vor ein Militärgericht und würde nach dem Militärstrafgesetz beurteilt. Also auch insoweit weicht die Rechtslage in der Schweiz von jener in Deutschland entscheidend ab.