Tages-Anzeiger, 27. Juli 1998
Der Basler Anwalt Peter Zihlmann gehört zur seltenen Spezies der Schweizer Justizkritiker. Das schafft ihm wenig Freunde in der Zunft.
Ein Rechtsanwalt, der Bücher schreibt? Ein ehemaliger Strafverteidiger, der sich schriftstellernd mit der Justiz auseinandersetzt? Der 6ojährige Basler Jurist Peter Zihlmann tut dies. In diesem Frühjahr ist sein Justizroman «Die Tochter des Magistraten. Des ersten Staatsanwalts letzter Fall» erschienen, der den menschlichen Hintergründen des Rechts und der Gerechtigkeit, des Richtens und Verurteilens nachgeht. Dabei kommt Zihlmann zu einem wenig schmeichelhaften Befund: Der Staatsanwalt im Buch wird das Opfer seines eigenen erbarmungslosen Systems.
Bisher mehr Echo als mit seinem Roman fand Zihlmann vor zwei Jahren mit seinem Sachbuch «Der Fall Plumey». Der Autor hatte den 1993 wegen eines 200-Millionen-Betrugs zu sieben Jahren* Zuchthaus verurteilten ehemaligen Financier André Plumey in einem vielbeachteten Prozess vor dem Basler Strafgericht verteidigt und war damit über Basel hinaus bekannt geworden.
(*Die Strafe wurde nach Plumeys Siegen in Strassburg und Lausanne auf schliesslich 4 3/4 Jahre Freiheitsentzug gesenkt.)
Vom Saulus zum Paulus
Der Fall Plumey wurde zum Wendepunkt in Zihlmanns Leben: Nach den Erfahrungen in dem mehrjährigen, seiner Ansicht nach völlig unfairen Verfahren ist aus dem ehemaligen Strafverteidiger und Wirtschaftsanwalt ein Anwalt für die Schwachen und Benachteiligten geworden. Seit 1994 hilft er als privater Ombudsmann im Auftrag einer Stiftung Menschen in Not bei der juristischen Durchsetzung ihrer Ansprüche gegenüber Staat und Unternehmen.
Profiliert hat sich Zihlmann seither aber vor allem als scharfer, bisweilen polemischer Kritiker der Basler und der Schweizer Justiz. Beim Europäischen Gerichtshof in Strassburg hat er 1997 mit einer Klage gegen die Basler Strafprozessordnung recht bekommen. Strassburg hielt die Regelung, wonach – wie im Fall Plumey – der Haftrichter gleich auch noch als Ankläger im Prozess auftritt, für nicht menschenrechtskonform. Seit diesem Jahr gilt dank der Klage Zihlmanns jetzt auch in Basel eine europakonforme Prozessordnung.
Als Justizkritiker ist Zihlmann nicht zur Welt gekommen: Nach seinem Anwaltsexamen 1965 wandte er sich wie die meisten jungen Juristen zuerst einem gesicherten Broterwerb zu, den er damals als Rechtskonsulent bei der Chemiefirma Ciba fand. In diesem Job lernte er die Welt kennen, wechselte später zur Weitnauer Trading, einem laut Zihlmann «etwas abenteuerlichen» Unternehmen, das mit Spirituosen und Tabak geschäftete. 1973 baute er mit drei ehemaligen Arbeitskollegen ein eigenes Treuhandbüro auf.
«Einzig als Advokat hätte ich nicht anfangen können», sagt Zihlmann: «Dazu fehlte mir der finanzielle und familiäre Hintergrund, der mir einen Einstieg in eine bekannte Anwaltspraxis erlaubt hätte.» Aus dem Treuhandbüro wurde bald eine Wirtschaftsberatungsfirma und eine Advokatur. Fast 20 Jahre lang war Zihlmann danach ein klassischer Wirtschaftsanwalt, der sich kaum um politische oder moralische Fragen kümmerte. Erst die Übernahme der Verteidigung Plumeys, der ihn über einen Mittelsmann darum angegangen hatte, warf ihn aus der Bahn: «Die Rechtsprechung, die ich im Fall Plumey antraf, war derart lausig, dass ich mich einfach dagegen auflehnen musste», sagt Zihlmann. «Es gab kein Akteneinsichtsrecht, keinen speziellen Haftrichter, kein Anwesenheitsrecht des Anwalts bei der Einvernahme seines Klienten. Das war tiefes Mittelalter.»
Das Basler Untersuchungsgefängnis Lohnhof, in dem der heute 70jährige gesundheitlich angeschlagene Plumey 18 Monate lang eingesperrt war, nannte Zihlmann eine «Geständnisfabrik», in der man Häftlinge schmoren gelassen habe, um sie weichzukochen. Für ihn sind das «Zuwiderhandlungen gegen das Folterverbot», und weil er dies auch öffentlich sagte, verurteilte ihn das Bundesgericht in letzter Instanz wegen «Verstosses gegen das Advokaturgesetz» zu einer Busse.
Auch in zwei weiteren Fällen bestraften die Behörden Zihlmanns öffentliche Kritik. Das eine Mal hatte er einen inhaftierten jungen Ladendieb mit ungewöhnlichen Methoden aus der Untersuchungshaft freibekommen. Er drohte in einem Inserat in einem Gratisanzeiger, sein Anwaltspatent öffentlich zu zerreissen, wenn der noch unbescholtene Mann weiter eingesperrt bleibe.
Der andere Fall ist nach wie vor hängig: Eine Gerichtsmedizinerin hatte sich im «Tatsachenroman» zum Fall Plumey wiedererkannt, obwohl Zihlmann im Buch ihren Namen und ihr Geschlecht geändert hatte. Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren wegen «Verletzung des Berufsgeheimnisses» ein.*
(*Zihlmann wurde am 19. Januar 1999 im Revisionsprozess freigesprochen.)
Selbstherrliche Staatsanwaltschaft
Zihlmann wehrt sich gegen unheilige Allianzen – so etwa zwischen Polizei und Gericht oder zwischen den Strafverfolgungsbehörden – in Basel der Staatsanwaltschaft – und den Gerichten. «Da sind wir weit entfernt vom angelsächsischen Zweiparteienverfahren, wo der Richter viel unvoreingenommener, offener ist. Bei uns hat die Staatsanwaltschaft eine enorm starke Stellung und spurt alles vor, zum Teil sogar mit Hilfe der Medien.» Nur sehr selten komme es daher vor, dass eine Anklage zurückgezogen werde und der Richter anders als die Anklage entscheide. «Wir sind hier gar nicht so weit entfernt von der Inquisition, in der Anklage und Urteil ganz in derselben Hand waren.»
Zihlmann hält zudem gewisse Justizsanktionen für unverhältnismässig. So etwa die Umwandlung von nichtbezahlten Bagatellbussen in Kürzest-Gefängnisstrafen. Mit dieser umstrittenen Praxis sei er als Ombudsmann häufig konfrontiert. Grundsätzlich sieht er es für gefährlich an, wie gegenwärtig unter dem Stichwort «Bekämpfung des organisierten Verbrechens» der Justizapparat laufend ausgebaut wird. «Das alles stärkt den Obrigkeitsstaat», warnt der durchaus bürgerlich gesinnte Basler Anwalt. Einst wäre er fast CVP-Kantonalsekretär geworden.
Im Schutz des Juristendeutsch
Innerhalb der Zunft stosse er mit seinen Ideen zwar auf wenig öffentliche Zustimmung, doch privat erhalte er positive Reaktionen. «Die meisten Anwälte und Juristen wollen halt Geld verdienen und innerhalb der Justiz Karriere machen. Da ist Systemkritik nicht förderlich.» Am meisten störe viele Kollegen seine einfache, verständliche Sprache. «Wenn ich meine Vorwürfe im verkopften Juristen-Jargon vorbringe, eckt das viel weniger an.» Seine Aussage etwa «Das hat mir einen Stich ins Herz gegeben» sei als unsachlich, weil emotional angesehen und unter Strafe gestellt worden. «Denn Gefühle haben in der Justiz keinen Platz, ihre Vertreter dürfen nicht als Menschen reagieren.» Genau diese unmenschliche Dimension der Rechtsprechung sei es aber, die ihn immer mehr interessiere und auch zum Bücherschreiben bringe.
Felix Maise, Basel