Strafjustiz in Basel: ein Fall für zwei – ein Fall für alle

Basler Zeitung Nr. 247, 20. Oktober 1988

Darf ich Sie in Gedanken zu einem kleinen Rundgang durch die Basler Strafjustiz einladen und Sie für eine Gedankensekunde zum Beschuldigten werden lassen?

Man stelle sich vor: Es ist Fasnacht, Sie verlieben sich in jemanden, den Sie vorher noch nicht gekannt haben, der aber polizeilich gesucht wird. Oder: Sie geraten im Verlaufe einer Demonstration in Polizeigewahrsam. Oder: Ihr Auto wird gestohlen und zu einem Bankraub verwendet. Oder: Sie sind leitender Angestellter und haben eine Ihnen neugestellte Aufgabe mit ausserordentlicher Energie und Erfolg ausgeführt, eine Abteilung neu geschaffen, aber in der Hitze des Gefechtes und bei unklaren organisatorischen Strukturen die umständlichen Dienstwege und Vorschriften nicht alle gekannt oder sie nicht alle eingehalten. Zudem erwächst Ihnen Feindschaft. Kurz: Sie werden in jedem der gewählten Fälle verdächtigt, in deliktische Machinationen verwickelt zu sein. Sie geraten in die Netze der Fahnder, in den Bannkreis der Strafjustiz.

Was im ersten, eingangs erwähnten Fall passieren könnte, ist im Roman «Die verlorene Ehre der Katharina Blum» von Heinrich Böll nachzulesen Aber ich will Ihnen keinen neuen Roman auftischen, sondern Sie meine Betroffenheit wissen lassen über das, was Ihnen in Basel passieren kann, dargestellt anhand konkreter Beispiele aus meiner beruflichen Praxis oder von Vorfällen, die ich wie Sie kürzlich der Presse entnommen und auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft habe.

Vielleicht wird Ihnen trotz des auf Ihnen lastenden Verdachtes, mit dem ich Sie als Gedankenspiel für einen Augenblick beschwere, kein Sack über den Kopf gestülpt, werden Sie nicht in den Unterhosen stundenlang stehen gelassen, werden Sie auch nicht angebrüllt (BaZ 1988 Nr. 201 und Nr. 206). Wahrscheinlich werden sie nicht geschlagen, haben mehr Glück als die Türken mit Detektivkorporal P. Nun, dieser ist zwangsversetzt worden (wohin?), nachdem sein Verhalten gegenüber den Angeschuldigten publik geworden ist. Der Basler Justizminister hat einen Apfel d’Ordre erlassen, wie Radio Basilisk verkündet hat. Wie halten wir’s mit der Rechtskultur? Können wir nun deswegen wieder zur Tagesordnung übergehen?

Ich glaube, das sollten wir nicht, ohne die Frage zu stellen: Wie ist es hier in Basel eigentlich um die Rechtskultur auf dem Gebiet der Strafverfolgung, der Strafjustiz überhaupt bestellt? Sie denken jetzt wahrscheinlich an die Strafverteidigung, an die Zeugen, die für sie sprechen, an die Wahrheit die sich bald, spätestens während der Gerichtsverhandlung feststellen lässt und die den hier vorausgesetzten Verdacht. wieder von Ihnen nimmt.

Aber verwechseln sie nicht Bilder aus amerikanischen Kriminalgerichtsfällen oder auch nur aus deutschen Fernsehserien wie «Ein Fall für zwei» mit den tatsächlichen Verhältnissen in Basel! Kennen sie unsere Strafprozessordnung und die Praxis dazu? Wissen Sie, dass Sie gar kein Recht haben, einen Anwalt im entscheidenden Moment zu konsultieren? Dann nämlich, wenn sie verhaftet, von Kriminalbeamten einvernommen werden, wenn Ihr Büro, Ihr Haus, Ihre Wohnung durchsucht wird, wenn sie schockiert, ratlos sind, wenn sie mit sanftem Druck (Wir haben Zeit . . .) und Versprechungen (Wenn sie jetzt das so unterschreiben, kommen Sie vor Gericht besser weg), zur verlangten Schilderung der Vorfälle, zum Geständnis hinzugeführt werden. Sie werden Protokolle über Aussagen unterschreiben, die so verfasst sind, wie der Untersuchungsbeamte es vorschlägt. Er weiss auch besser als Sie, was Sie und wie Sie es sagen sollen. Der Kriminalbeamte wird Ihnen kameradschaftlich burschikos entgegentreten. Wenn Sie durch den Staatsanwalt einvernommen werden, könnte er auch Ihnen sagen, Sie sollten die Sache nicht so tragisch nehmen, alles sei, wie im Fernsehkrimi (was nicht stimmt, denn dort sind die Rechte des Angeschuldigten bedeutend besser gewahrt), alles sei halb so schlimm, es werde wahrscheinlich etwas Kiste abgeben, aber natürlich nur bedingt, weil es für Sie das erste Mal sei.

Und wenn es nicht das erste Mal wäre, oder wenn Sie bereits in Untersuchungshaft im Lohnhof schmachten? Sie könnten dann damit getröstet werden, dass der Beamte sich bereit erklärt, sich dafür einzusetzen, dass Sie in den vorläufigen Strafvollzug versetzt werden. Das bringt Ihnen grosse Vorteile! Nicht nur können Sie bei vorzeitigem Strafantritt in einer Menschenwürdigen Strafanstalt arbeiten, ist die Einzelhaft vorbei; es bietet Ihnen auch finanzielle Vorteile wegen Wegfall der Haftkosten, die Ihnen sonst auferlegt würden. Zudem zeigen Sie damit Einsicht und beeindrucken die Strafrichter positiv – und bevor sie vor Gericht gestellt und verurteilt sind und auch nur je einen Anwalt in dieser Sache konsultiert haben, werden Sie in die Strafanstalt Bostadel oder nach Thorberg gebracht alles natürlich auf Ihren, ausdrücklichen Wunsch!

Ohne Rat und Beistand

Wie Sie : sehen, werden Sie im Basler Strafermittlungsverfahren vorsätzlich und mit gesetzlicher Billigung allein, ohne Schutz und Rat und Beistand gelassen. Erst wenn Sie im eigenen Saft tüchtig geschmort haben und pfannenfertig für eine etwaige Verurteilung hergerichtet sind, wenn die Zeugen bereits von der Staatsanwaltschaft (!) angehört worden sind, die Akte geschlossen und die Anklageschrift ausgearbeitet wird, tritt dar Verteidiger allenfalls in Aktion. Auch jetzt können Ihre Telefongespräche, die Sie mit ihm führen, munter aufgezeichnet und ausgewertet werden, ohne dass Sie es je erfahren müssen. Bis vor kurzem ist bei Untersuchungsgefangenen auch die Anwaltspost regelmässig geöffnet und zensuriert worden (BaZ 28.11.87). Ist es daher erstaunlich, dass hierorts die Strafverteidigung verkümmert, die Gerichtsverhandlung, sogenannte Hauptverhandlung, zur Farce verkommt, dass Strafverteidiger in Basel oft als Störer der Kreise der Strafverfolgungsbehörden behandelt, dass die Menschenrechte, die Ihnen auch als Angeschuldigtem noch zustehen, mit Füssen getreten werden?

Ungenügender Schutz für Beschuldigte

Offizialverteidigungen (vom Staat bezahlte Verteidigung durch einen unabhängigen Rechtsanwalt für Mittellose) sind entgegen gesetzlicher Bestimmungen in Basel immer wieder verweigert worden. In ständiger Praxis wurde entgegen Basler Gesetz der Beizog eines Offizialverteidigers in leichteren Fällen verweigert, selbst wenn der gesetzliche Strafrahmen für das vorgeworfene Delikt eine Zuchthausstrafe von mehr als fünf Jahren vorsieht. Das Bundesgericht musste eingreifen (Urteil vom 11.2.87). Das hält die Basler Strafbehörde nicht davon ab, weiterhin Offizialverteidigungen unter Berufung auf eben gerade dieses Gesetz abzulehnen. Selbst wenn im konkreten Fall mit einer unbedingten Freiheitsstrafe zu rechnen ist und der Beschuldigte in Untersuchungshaft oder im vorläufigen Strafvollzug ist. So wird der bundesrechtliche Anspruch auf Verteidigung verletzt.
Aber auch den Privatverteidigern ergeht es in Basel im allgemeinen nicht besser. Gerichtsverhandlungen werden ohne ihre Anwesenheit durchgeführt und kurzerhand langjährige Zuchthausstrafen verhängt und bestätigt. So werden Menschenrechte verletzt. Das Bundesgericht musste auch in solchen Fällen auf anwaltliche Intervention wiederholt Menschenrechtsverletzungen in Basel feststellen und die Basler Urteile aufheben (Urteile des Bundesgerichtes vom 11.2. und 11.8.87).

Amateure gegen Profis

Aber aufs Ganze gesehen fast noch schwerer wiegen all die vielen Fälle, in denen das Bundesgericht nicht angerufen wird oder nicht eingreifen kann, weil das kantonale Recht dem Beschuldigten ungenügenden Schutz gewährt, ohne dass eine flagrante Menschenrechtsverletzung nachweisbar ist. Die Verteidigungsrechte in der Basler Strafjustiz sind kümmerlich. Das Recht auf Beizog eines Anwaltes und auf Akteneinsicht besteht nur aufgrund von Bewilligungen durch die Staatsanwaltschaft. Regelmässig werden diese Rechte, ohne die eine Verteidigung unmöglich ist, dem Angeschuldigten erst dann gewährt, wenn die Ermittlungen gegen ihn im wesentlichen abgeschlossen sind. Wie erwähnt tritt der Anwalt daher erst nach Erhebung der Anklage beim Gericht in Aktion. Es ist jedoch gerade in komplizierten Fällen der Wirtschaftskriminalität , oft äusserst schwierig und mit hohen Kosten verbunden, in diesem späten Stadium eine sinnvolle und wirksame Verteidigung aufzubauen und die entlastenden Momente rechtzeitig und glaubhaft vor Gericht zur Geltung zu bringen. Ihr Verteidiger übernimmt von Ihnen im Endspiel eine Schachpartie, in der Sie durch ungeschickte und falsche Züge alle Ihre Figuren bis auf den König und einige wenige Bauern bereits verloren haben. Wen wundert’s: sie mussten ja als Amateur gegen Profis antreten.

Krankheitssymptome häufen sich

Dass diese unwürdige Rechtssituation ein günstiges Klima für weitere Übergriffe der Untersuchungsorgane gegen die Beschuldigten sei, wie für die eingangs geschilderten entwürdigenden Verhörmethoden ist klar. Jedenfalls weiss der. Strafgerichtspräsident Dr. Peter Albrecht, wovon er spricht, wenn er als einzige wirksame Massnahme gegen unzulässige Verhörmethoden die Möglichkeit fordert, dass der Angeschuldigte schon bei seiner ersten Einvernahme einen Verteidiger beiziehen kann (BaZ 1988 Nr. 206). Nachdem die Krankheitssymptome der Basler Strafjustiz sich häufen, bleibt nur zu hoffen, dass unsere Politiker in Basel anlässlich der bevorstehenden Erneuerung der Strafprozessordnung (Totalrevision) ihren Einfluss auf Ausbau der Verteidigerrechte mit Erfolg geltend machen und es nicht den Strafverfolgungsbehörden überlassen, die Ordnung weitgehend nach ihren Vorstellungen zu bestimmen.
Eine Kur an Haupt und Gliedern ist dringend angezeigt: so, dass Sie die nächste Fasnacht unbeschwert erleben und geniessen können und Sie jedenfalls – wenn Sie tatsächlich einmal Gegenstand einer vielleicht ungerechtfertigten Strafermittlung werden – die Chance haben, dadurch nicht automatisch jeden Schutz und jede Menschenwürde zu verlieren.