«Fall Plumey» / Ein Anwalt beleidigt die Justiz

Facts Nr. 17/1995

Der Tatsachenroman des Basler Anwalts Peter Zihlmann zum Fall des Financiers André Plumey sorgt für helle Aufregung: Wieviel Kritik ist erlaubt?

Sieben Gläser, sieben Flaschen Mineralwasser, sieben Männer am runden Tisch. Eine Sekretärin unterbricht die Sitzung, meldet einen «dringlichen Telefonanruf für den Herrn Zihlmann». Ein Verbindungsmann aus Genf ist am Draht, und der bezieht sich auf einen Verbindungsmann in Paris. «Die Sache ist dringlich, sehr dringlich.» Zihlmann, der Basler Wirtschaftsanwalt, verlangt 5000 Franken Vorschuss, fährt nach Paris – und trifft André Plumey, der gierig Truffes isst und willig über seine finanziellen Sorgen spricht. Der Anwalt bittet um eine Nacht Bedenkzeit.

Ein paar Tage später leitet er als neuer Firmenanwalt die Generalversammlung der André Plumey Finance S. A. – in Abwesenheit von Monsieur Plumey, der aus allen Ämtern zurücktritt. An dessen Stelle wird Leo Elster, ein junger Plumey-Mitarbeiter, eingesetzt. Bald erscheint Elster in der Kanzlei Zihlmann, spricht wirres Zeug, völlig verstört legt er seinen Kopf auf die Tischplatte. Freiwillig übergibt sich Elster der Justiz.

Nun bekommt die Presse Wind: «Riesiger Finanzskandal – 200 Millionen Franken verschwunden – Hunderte von Klein-Sparern geprellt. » Plumey verschwindet, Zihlmann übt die Vollmachten aus, Plumey wird Konkurs erklärt,

Zihlmann fährt nach Boncourt zur Raiffeisenkasse, wo die Staatsanwaltschaft Basel vergessen hatte, ein Plumey-Erbschaftskonto sperren zu lassen. Zihlmann holt 45 000 Franken ab – sein Honorar.

Derweil ist die Justiz nicht untätig: Plumeys ehemalige Sekretärin, wohnhaft in Kaisten AG, wird überwacht, und weil sie jeweils von öffentlichen Telefonkabinen aus mit Plumey Kontakt aufnimmt, wird die Dorfkabine von Kaisten abgehorcht. In Zihlmanns Chalet am Vierwaldstättersee wird eingebrochen, «sauber, wie von einem Geheimdienst». Unter falschem Namen fängt Plumey in Kanada neu an, wieder mit Finanzgeschäften, heiratet eine kanadische Diplomatin, die er einst in Genf kennenlernte. Nach drei Jahren fliegt er auf, flüchtet nach Rio, wird verhaftet. Gemeinschaftszelle. Sechs Mann auf 25 Quadratmeter Fläche, hängende Wäsche, kein Tisch, kein Stuhl, in der Ecke ein kleines WC. Ab und zu sehen Frauen von der untern Etage vorbei, die in den brasilianischen Zeitungen vom Schweizer Finanzhai gelesen haben, um diesem die Heirat anzutragen. Plumey, ansonsten ein lebenslustiger Bisexueller, lehnt ab: «Ich will zurück in die Schweiz» – und bestellt Zihlmann nach Rio.

Nach der Auslieferung landet Plumey im Basler Untersuchungsgefängnis Lohnhof, «einer Geständnisfabrik», wie Zihlmann sagt, in der Häftlinge «schmoren» gelassen würden, um sie «weichzukochen». 17 Monate lang. Was von jetzt an bis zur Verurteilung abläuft, nennt sein Anwalt rückblickend eine «Farce». Er hat darüber ein Buch geschrieben, einen Tatsachenroman, in dem er sich selber Zwengmann nennt. «Sollten sich Ähnlichkeiten mit der Basler Strafjustiz ergeben, sind diese weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich».

z-pIn Wirklichkeit verbirgt sich hinter diesem Tatsachenroman eine klassische Justizbeleidigung. Ins Visier gerät in erster Linie der Basler Staatsanwalt Helber, der im Tatsachenroman Klemmer heisst und in Pausen seiner «jungen, hübschen» Sekretärin ungeheure Dinge über Plumey erzählt: «Das ist uns überhaupt noch nie vorgekommen, eine so lange Haft und kein Geständnis, keine Verlegung in den vorläufigen Strafvollzug. Das hält keiner durch.» insgeheim denkt Helber daran, Eberhard einzusetzen, seinen besten Mann, der beim Verhör von türkischen Drogenhändlern auch schon Säcke über deren Köpfe gestülpt hat – immer laut Tatsachenroman. Zihlmann spricht von «Widerhandlungen gegen das Folterverbot», öffentlich, und wird deswegen vom Bundesgericht gebüsst. Nun rechnet Zihlmann mit allem: Trifft er seinen Klienten im Besuchsraum, zieht er den Mikrophonstecker aus der Gegensprechanlage. Darauf droht der Wärter mit Hausverbot.

Untersuchungshäftling Plumey, über 60 Jahre alt, wird krank. Staatsanwalt Helber lässt sich vom Gerichtsarzt für alle Eventualitäten einen Freipass ausstellen: «Da der Todeseintritt bei älteren Individuen häufig ein funktionelles Geschehen ist, ist ein (morphologischer) Nachweis der Todesursache häufig unmöglich.» Zihlmann tobt, geht bis vor Bundesgericht, obschon er, wie nun im Roman nachzulesen ist, sein Vertrauen in die Justiz längst verloren hat: «Ein Einführungskurs in Kinderpsychologie genügt vollauf, um alle Gesetzmässigkeiten der Justiz zu durchschauen. »

Staatsanwalt Helber braucht vor allem Zeit. Sechseinhalb Jahre nach der Konkurserklärung ist er mit seiner Anklage fertig. Laut Roman sieht Helber dem Prozess gelassen entgegen: «Im Gericht werden lauter Frauen sitzen, die sind pickelhart. Da kann Plumey schlecht landen mit seiner homosexuellen Erotik.»

Der Fall Plumey wird der Richterin Felicitas Lenzinger zugeteilt, einer Sozialdemokratin, die sich einst unter dem Slogan «Die Kleinen hängt man, die Grossen lässt man laufen» wählen liess. Zihlmann sieht rot: «Die hat sich ihre Meinung schon gemacht, der Prozess ist unnötig», und stellt Antrag auf Befangenheit – vergeblich. Im Tatsachenroman erklärt Zihlmann aber nicht nur Präsidentin Lenzinger, sondern auch alle anderen Richter für voreingenommen: «karrieregeil» seien sie, wohl wissend, dass es ihrem Image guttun würde, wenn sie einem grossen Fisch an den weissen Kragen gingen. Eine Richterin sei eine persönliche Bekannte von Zihlmann, die ihre Unabhängigkeit ihm gegenüber beweisen müsse; eine dritte Richterin sei in eine Ölspekulationsaffäre verwickelt gewesen, die nur «mangels Beweisen» eingestellt wurde.

Staatsanwalt Helber fordert sechseinhalb Jahre Gefängnis, das Gericht erhöht auf sieben Jahre. Zihlmann spricht abschätzig von einer «Fränklijustiz», vergleichbar der «Grämmlijustiz» bei Drogendelikten. Verteidiger will er nicht mehr sein, will erklärtermassen «Misstrauen säen» und nennt sich seither «der private Ombudsmann».

Nachtrag: Zihlmann hat Augen für vieles, aber den Trick des Betrügers Plumey durchschaut der Jurist mit Studienaufenthalten in Paris und New York bis heute nicht. Zwar habe Plumey die ihm anvertrauten Gelder zum grossen Teil gar nicht investiert, sondern als «Gewinnzahlungen» an alte Investoren ausbezahlt, doch sei dies, wie Zihlmann im Buch gleich zweimal behauptet, «gut angelegtes Geld» gewesen. In der Tat funktionierte das System Plumey wie die Kettenbriefe des European Kings Club. Und so ist es auch kein Wunder, wenn der European Kings Club in der Person des Peter Zihlmann einen flammenden Verteidiger findet: «Es ist doch Ausdruck des reinen Paternalismus, wenn sich der Staat für das Geld seiner Bürger sorgt.»

Markus Schneider

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rioDie liebe Mühe der Justiz mit André PlumeyEine Art Kings Club im Jura

André Plumey, Jurassier mit Geschäftssitz in Basel, wurde am 22. Dezember 1993 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Derzeit liegt er im Kantonsspital Basel, ansonsten lebt er auf freiem Fuss. Grund: Auch fünfviertel Jahre nach dem Prozess fehlt das schriftliche Urteil. Plumey-Anwalt und Buchautor Peter Zihlmann wird ans Bundesgericht gelangen – ob der 67jährige Plumey noch hinter Gitter kommt, ist fraglich.

Auch sonst hatte die Justiz ihre liebe Mühe. Mehr als sechs Jahre lang ermittelte der Staatsanwalt, 17 Monate lang dauerte die Untersuchungshaft, mehr als drei Monate der Prozess. 195 Millionen Schweizer Franken beträgt die Deliktsumme, betroffen waren 11010 Anleger, es soll zu Selbstmorden gekommen sein. Vielfach waren die Betrogenen selber schwarze Schafe, nämlich Steuerhinterzieher. In den Kantonen Neuenburg, Jura und Freiburg hatte die Affäre Plumey eine ähnliche Bedeutung wie der European Kings Club in der Innerschweiz. Das System war beide Male dasselbe: Hohe Renditen – ohne jeden Bezug zur Wirklichkeit, reine Kettenbriefe.