Die Hypothek

oder: „Ab heute sind Sie ein armer Mann“

Zihlmanns Fälle, www.netzpress.ch Fall 02/2001

Zihlmann’s Fälle basieren auf wahren Begebenheiten.
Namen und persönliche Daten sind frei erfunden.
Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich lebenden Personen ist rein zufällig.

„Die Nerven verlieren, den Verstand verlieren.“ Das sind Redewendungen, die uns leicht von der Zunge gehen. Trotzdem war ich betroffen als ich in meiner Kanzlei dem ehemaligen Bankdirektor Andres Schweizer begegnete, einem hilflos gegen die Hypo-Bank wütenden Nervenbündel. Er trampelte mit den Füssen, weil er mich vom erlittenen Unrecht anders nicht mehr zu überzeugen glaubte. Es tröstete ihn wenig. dass daraufhin seine Frau ihre Hand sachte auf seine legte. Es war schwer mitanzusehen wie der einst erfolgreiche Banker und Familienvater, einmal aus der Bahn geworfen, seine Fassung endgültig verloren zu haben schien. Dabei hatte er alles. Er hatte eine 8-Zimmer-Villa bei Zürich mit eigenem Schwimmbad und Doppelgarage für 1,5 Millionen Franken erworben und für Fr. 500’000.– ausgebaut. Er hatte also eine Villa, und er hatte auch eine Hypothek von Fr. 1’450’000.– von der Hypo-Bank. Direktor war er einer anderen, einer ausländischen Bank. Aber Banken fusionieren, und so verlor der Stellvertretende Direktor ein halbes Jahr später seinen feudalen Posten. Er machte sich als Unternehmensberater selbständig; eine harte Zeit begann. Den Kredit für seinen kleinen Betrieb musste er aufstocken und bald nochmals aufstocken. Er bekam das Geld. Vor seiner Zeit als Bankdirektor war er Direktor einer Lebensversicherungsanstalt gewesen und hatte die Versicherungsgelder bei der Hypo-Bank angelegt. Dort genoss er seitdem Vorzugskonditionen; die Hypo-Bank war ihm verpflichtet. Mit dem Mitarbeiter der Kreditabteilung verband ihn ein fast freundschaftliches Verhältnis. Am Ende betrug seine Hypothek 2 Millionen Franken. Hypotheken hat man, schuldig ist sie Herr Schweizer nicht. So ist sein Gefühl, eine allgemein geteilte Überzeugung. Seine finanzielle Situation blieb angespannt. Seine Ehefrau, gelernte Laborantin, putzte in der Freizeit. Die Hypo-Zinsen wurden alle pünktlich bezahlt.

Im Park vor seiner Villa sah Andres Schweizer zu, wie zum zweiten Mal der kalte Herbstwind die schmalen Blätter von der Trauerweide herunterwehte, wo sie auf dem Wasser des Schwimmbeckens lange liegen blieben bis sie versanken. Vor dem Nachtessen kam das Telefon: Der Chef der Kreditabteilung wolle ihn morgen dringlich sprechen. Bisher hatte er noch nie mit ihm zu tun gehabt. Die Sache war zur Chefsache geworden. Der Chef empfängt ihn kühl und schlägt gleich zu Beginn des Gesprächs den Gong: „Herr Schweizer, ab heute sind sie ein armer Mann! Sie haben über Ihre Verhältnisse gelebt. Jetzt muss etwas geschehen. Ich habe ihr Dossier vorliegen: eine einzige Katastrophe.“ Der vertraute Sachbearbeiter der Bank ist beim Gespräch nicht dabei. Andres Schweizer’s Leben wird vom Bankdirektor finanziell vermessen und durchkalkuliert entsprechend gesunden Grundsätzen und Bankusanzen. Zwangsverwertung seines Heimes und Konkurs seiner Firma werden ihm als unumgängliche, bedrohliche Tatsachen der nächsten Zukunft vor Augen geführt und berechnet. „Innert drei Monaten haben sie ihre Villa zu verkaufen – zu jedem Preis! Die Hypothek ist gekündet.“- „Das ist eine Überreaktion,“ ruft Andres Schweizer angstvoll. „Nein, das ist Schadensbegrenzung!“ brüllt der Bankdirektor den ehemaligen Berufskollegen an. Hochrote Köpfe haben sie beide. Herr Schweizer war und sein Gegner ist Stellvertretender Bankdirektor. Das entscheidet den Ausgang dieses Kampfes. Herr Schweizer kennt das power play, das kategorische, strategisch überlegte Fertigmachen einer Person zu einem klar definierten finanziellen Ziel aus seiner früheren Tätigkeit als Banker. Gebilligt hatte er es nie, aber praktiziert wurde es, das war auch ihm klar. Als direkt Betroffener ist er überwältigt, fühlt sich erniedrigt und gedemütigt. Dieser Situation ist er nicht gewachsen. Seine Zukunft ist ungewiss. Er bricht ein. Innert den verfügten drei Monaten hatte Andres Schweizer sein Heim verkauft, für nur 1,4 Millionen. Ein Schuldenberg von über 600’000.– blieb zurück.

Andres Schweizer konnte sich schon wenige Wochen später in die Verwaltung flüchten, wurde vom Regierungsrat in eine leitende Stellung gewählt. Die Rettung kam zu spät: Herr und Frau Schweizer bleiben finanziell ruiniert. Die Bank hatte kurz vor der Endrunde die Ehefrau in die Verpflichtung für den Betriebskredit eingebunden.

Fünf Jahre später sind die Energien der Familie Schweizer aufgebraucht. Plötzlich verlassen den Chefbeamten all seine Kräfte, er verliert durch mobbing seine letzte Stellung. Er und seine Frau werden invalid. Er ist psychisch krank, er ist körperlich krank, er hat einen seltenen Krebs, der vor sich hin tümpelt. Der Arzt erklärt, der Krebs sei auf eine hormonale Störung zurückzuführen, die häufig „in aussergewöhnlichen Lebenssituationen“ auftrete. Der „Invaliditätsschock“ habe ihn getroffen, psychoseartig, mit Verdauungsproblemen, Gefühlsverlust und grenzenloser Müdigkeit und Erschöpfung, klagt Andres Schweizer. Er schreibt mir über sein Erlebnis mit der Hypo-Bank diesen schrecklichen Satz, der aus dem Haben und Besitzen hervorgeht: „Ich fühlte mich meiner Person beraubt.“
Er legt mir seine gerichtliche Klage zur Prüfung vor, ein Werk an dem er während der letzten vier Monate täglich und verzweifelnd gearbeitet hat: Er fordert von der Hypo-Bank Schadenersatz in Höhe von Fr.1’648’036.90 wegen strafbarem Zwang und Nötigung. Mir wird schwindlig. „Herr Schweizer, Sie selbst haben die Liegenschaft verkauft! Jede Hypothek kann gekündet werden, auch wenn die Zinsen bezahlt werden. Kündigung bleibt ein Recht der Bank. Ihre Hypothek ist nicht einmal formell gültig, das heisst schriftlich gekündet worden. Ihre finanzielle Situation damals war ungewiss. Wer könnte da rechtlich erfolgreich gegen die Bank vorgehen?“

Herr Schweizer, Gründungsmitglied der FDP seiner Wohnsitzgemeinde, ist erneut in seinem Rechtsverständnis erschüttert und persönlich gekränkt. Dass er sich mit seinen Ansprüchen nur lächerlich machen könne, wurde ihm von Seiten der Hypo-Bank bereits bekannt gegeben. Begreifen kann Herr Schweizer die Situation dennoch nicht. Er fragt: „Darf eine Bank einen rechtschaffenen Menschen derart kaputt machen ohne bestraft, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden?“ Ich versuche diese Frage mit einer geballten Ladung an Gegenfragen aus der Welt zu schaffen: „Wieso unterschreiben wir alle Hypotheken und verpflichten uns – weit über unsere Verhältnisse hinausgehend – diese innert 3 oder 6 Monaten zurückzuzahlen? Ja, heute könnten wir es noch, aber wie steht es schon morgen? Wäre es nicht verantwortungsvoll eine Hypothek nur unkündbar anzunehmen mit jährlichen verkraftbaren, realistischen Rückzahlungsbeträgen? Wieso handeln wir alle und jeder auf seine eigene Art verantwortungslos, auch wir Notare, die diesen alltäglichen Wahnsinn verurkunden? Gutgehen kann es nur auf gut Glück. Wer aber fordert das Recht auf Glück für Pechvögel ein? Wer bürgt für den morgigen Tag?“ Enttäuscht nimmt Andres Schweizer seine Klage, seine Papiere wieder an sich.