Die Basler Justiz auf dem Prüfstand

Unabwendbare Lähmung

Kommentar von Dr. iur. Peter Zihlmann

Aus Stadt-Zytig 28.10.2005

Nach dem Urteil des Appellationsgerichts: Grosse Fotos von Guido Zäch und seiner Verteidigerin Vera Delnon in der Basler Zeitung auf der Front und zweiter Seite. Das heisst: Seht her! «D(e)r Zäch» ist und bleibt in Basel offiziell ein «Krimineller». Die Porträts selbst erzählen eine Geschichte, die Bildzeile bringt die Pointe: «Gescheitert» steht da. Die Gesichter vom Verurteilten und seiner Verteidigerin spiegeln wieder wie ratlos, betroffen und verletzt sie beide sind. Deren Frontalangriff auf die Basler Justizbehörden sei vergeblich gewesen und gescheitert. Der hohe Basler Richter Eugen Fischer kann mit juristischer Wollust in der Wunde, die er dem Arzt mit dem juristischen Skalpell zugefügt hat, bohren: «Wir wissen, dass auch eine bedingte Strafe Sie trifft.» Geradezu masochistisch reagiert der mächtige Arzt und Pionier der Paraplegie: Er zeigt sich tief betroffen, erwähnt seine Familie, die mit ihm unter dem Urteil leidet. Er erklärt realitätsfern: «Ich werde bis zum Freispruch kämpfen». Er richtet nun nach zwei herben Niederlagen seine Hoffnung nach Lausanne aus und erwartet von dort unentwegt den «Freispruch», den er unablässig vor Gericht und der Öffentlichkeit vergeblich gefordert hatte. Aus der Sicht der Basler Richter ist er ohne Unrechtsbewusstsein, ein Wunder dass der Unbelehrbare nicht eine unbedingte Strafe zugeteilt erhielt. Der 70-jährige soll sich jetzt in Zukunft bewähren. Eine geradezu humorvolle Vorstellung. Sein Verschulden wiege schwer, tönt es von architektonisch erhöhter Warte im Gerichtssaal. Nach neuester richterlicher Erkenntnis hat Guido Zäch sich persönlich bereichert, hat Geld veruntreut. Er muss wegen seines «fortgeschrittenen Alters und seiner erhöhten Strafempfindlichkeit» trotzdem nicht in den Knast. Die erste Instanz sah das, noch anders. Zwei Jahre sollte er sitzen. Eine absurde Vorstellung angesichts des gesamten Lebens und Wirkens des Guido Zäch. Dabei warf ihm die erste Instanz kein schweres Delikt vor. Sie verurteilte ihn wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung. Dieses Delikt ist weniger schlimm (als Veruntreuung). Deswegen verurteilt wird, wer infolge pflichtwidriger Vermögensverwaltung andere schädigt, selbst wenn er sich dadurch nicht bereichert. Die zweite Instanz hat den strafrechtlichen Vorwurf verschärft, die Strafe jedoch gesenkt. Richterliche Allmacht? Was ist passiert? Wie konnte es dahin kommen?

Die Verteidiger Delnon und Rüdy werfen der Staatsanwältin und den Basler Gerichten Unfähigkeit, mangelnde Professionalität und zu geringen Sachverstand vor. Auch der professorale Angriff des Franz Ricklin zielt auf mangelnden juristischen Sachverstand der Justiz. So hart und verständlich diese Kritik ist, sie greift zu kurz.

Auf Grund meiner Erfahrungen in den letzten vier Jahrzehnten mit der Basler Justiz verwahre ich mich vorab dagegen, dass der Staatsanwältin Katharina Villiger oder dem mangelnden juristischen Sachverstand der Richter die Schuld an den Fehlurteilen zugewiesen wird. Die verhältnismässig schwache Besetzung der Staatsanwaltschaft vor Gericht ist Teil der von ihr verfolgten Strategie. Warum ist der erste Staatsanwalt nicht selbst in die Hosen gestiegen wie auch schon, wenn es Lorbeeren für die Strafverfolger einzuheimsen galt? Wieso ist nicht wenigstens der Leiter der Spezialabteilung für Wirtschaftskriminalität aufgetreten? Das politische Risiko dieses Prozesses sollte derart ausgetestet werden, dass notfalls der Schaden ohne Gefahr für das System durch «ein Bauernopfer» (entsprechend der Gambit-Eröffnung im Schach!) begrenzt werden konnte.

Aber auch die Richter sind keine Ignoranten. Ich kenne sämtliche Richter, die dieses Urteil gesprochen haben und ich kenne sie teilweise seit dem Studium und kann bezeugen, dass sie juristisch bestausgebildet und an sich integere Menschen sind. Das eigentliche Problem ist die politische Struktur der Justiz. Die Justiz ist immer nur so gut wie die politische Grosswetterlage. Sie richtet sich nach dem Wind des Zeitgeistes aus. Die Justiz urteilt in der Regel so wie auf Grund dieser Machtverhältnisse zu erwarten ist. Für menschenfreundliche Überraschungen ist sie selten gut. Sie ist gefangen im Korsett des ganzen politischen Systems, dessen Teil sie ist. Das Appellationsgericht ist in Basel seit jeher weitgehend ein «Bestätigungsritual». Ein Neuaufrollen des ganzen Prozesses war noch nie seine Sache. Obwohl nach Gesetzbuch das der Fall sein sollte. Das Appellationsgericht, für seine stets kurzen Prozesse unter Strafverteidigern berüchtigtberühmt, ist immer nur Beschwerdeinstanz, die Zeugen kaum hört und wenn schon, ihnen noch seltener Glauben schenkt, um das einmal gefällte Urteil umzukrempeln. Systemerhaltung, Rechtsfriede! Das sind die Ankerpunkte jeder Justiz. Und diese primäre Aufgabe hat die Basler Justiz immer vortrefflich erfüllt. Ich habe das als Mietgerichtspräsident selber erlebt und davon profitiert. Von meinen Hunderten von Urteilen ist kaum eines vom Appellationsgericht gekippt worden! Nie war ich als Jurist je so machtvoll und unfehlbar wie während der 15 Jahre als ausserordentlicher Gerichtspräsident! Ich habe meine «anerkannte Stärke» mit einem Schmunzeln und einem Stirnrunzeln zur Kenntnis genommen. Ich war mir der Herkunft und Funktion dieser «Unfehlbarkeit» stets bewusst.

Dass die Vorsitzende der ersten Instanz, Frau Judith Stamm, die 2003 Guido Zäch für zwei Jahre hinter Gitter bringen wollte, jetzt eine Kollegin des Eugen Fischer geworden ist, ist wiederum nur die Spitze, die Pointe des ganzen Problems. Guido Zäch hat in Basel mit dem fulminanten Ausbau des Paraplegiker-Zentrums in den Siebzigerjahren in Basel Gesundheitspolitik betrieben. 1990 ist er nach Nottwil «ausgewandert». Er hat sich dabei viele Feinde geschaffen. Es gäbe hier noch viel nachzutragen. Der Prozess ist eine Abrechnung. Ein Prozess dieser Art ist immer in erster Linie eine Abrechnung. Erinnern wir uns daran, auf welche Weise dieser Prozess ins Rollen gebracht worden ist. Neid und Missgunst standen unübersehbar Gevatter. Die juristischen Formen und Paragraphen sind Staffage und Dekor im Theater um Macht und Einfluss. Guido Zäch hatte in Basel zum Vorneherein keine Chance, zu feindlich war das Klima. Ich habe in Basel mit niemanden sprechen können, ob aus medizinischen oder juristischen oder anderen Kreisen, der nicht ein abfälliges Wort gegen Guido Zäch übrig hatte. In Luzern tönt es schon ganz anders. Wieso ist im Fall Zäch nicht das Bundesstrafgericht in Erscheinung getreten? Die Gnade, die dem Dieter Behring zu teil geworden ist, von einer Basel fernen Untersuchungshehörde und später vom Gericht in Bellinzona beurteilt zu werden, dürfte doch auch einem Arzt mit derart positiver Lebensbilanz gewährt werden!

Der Instanzenzug verführt die Rechtsuchenden dazu, die Gerechtigkeit unentwegt in immer höherer Instanz, in der Appellation, dann vor Bundesgericht und zuletzt wohl in Strassburg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu suchen. Aber nur selten kann Lausanne oder gar Strassburg eine Sache «richten» oder gar aufrichten, die von den kantonalen oder schweizerischen Gerichten niedergemacht worden ist. Direkte Eingriffe in die kantonale Strafjustiz sind selbst dem Bundesgericht und dem Gerichtshof in Strassburg verwehrt. Es kann höchsten «aufheben» und dann landet die Sache wieder dort, wo sie eben nicht sein sollte, beim fehlbaren kantonalen Gericht. Auch das habe ich zu oft erlebt, als dass ich jemanden den Marsch durch die Instanzen empfehlen könnte, nachdem sich eine Niederlage vor Gericht einmal klar als politisch unumgänglich abgezeichnet hat.

Mein ungefragter Rat an Guido Zäch wäre der Folgende: Er. darf das Urteil vor Appellationsgericht, das ihn vor dem Gang ins Gefängnis (oder zur demütigenden Begnadigungsbitte) bewahrt hat, als Erfolg werten. Von der anfänglichen riesigen Deliktssumme von 60 Millionen Franken ist nur noch etwas über eine Million übrig geblieben. Guido Zäch dürfte doch vor dem Hintergrund seines beruflichen und geschäftlichen Erfolges sagen: «Ich akzeptiere das Machtwort des Gerichtes, auch wenn ich darin eine schlimme Fehlbeurteilung meines Wesens und meiner Handlungen erkenne. Ich habe über zwei Instanzen gekämpft. Der mir feindlich gesinnte Kanton konnte mir nicht gerecht werden. Die mich wirklich kennen, wissen, wer ich bin. Sie halten zu mir. Mein Lebenswerk steht. Ein Verbrechen ohne Opfer? Wer ist durch meine Handlungen geschädigt worden ausser mir selbst? Wer hat mir das Vertrauen entzogen? Die Spender? Wo liegt das Problem? Das Problem ist die Justiz selbst! Auch meine Patienten mussten das Unabwendbare ihrer Lähmung akzeptieren. Ich akzeptiere, dass die Justiz hin und wieder im Irrtum ist. Das ist nichts Neues!» So könnte er selbstbewusst sein eigenes Urteil und das seiner Anhänger, dem Urteil der Basler entgegensetzen. Ein höchstrichterliches Verdikt bliebe ihm ebenfalls erspart! Aber eben. Auch hier gilt. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Guido Zäch ist und bleibt ein Macher. Aber jetzt steht er gegen das System. Er wird seinen Weg gehen müssen. Das müssen wir alle. Nachher sind wir stets klüger.

Was bringt es Guido Zäch, wenn Lausanne nach Jahr und Tag die «Warnstrafe» etwas reduziert. Wer interessiert das dann noch? Ist der Schaden nicht bereits in voller Höhe für ihn eingetreten? Wir sollten die Urteile eines Gerichts nicht ernster nehmen als sie es verdienen. Wer kennt schon die ganze Wahrheit? Wieso richten wir unser Urteil über unsere Mitmenschen noch immer danach aus, was einige fehlbare, unwissende Menschen über andere Menschen offiziell als staatlichoffizielles Urteil verkünden? Wer sich durch sein Amt dazu verurteilt über andere Menschen zu urteilen, hat das Urteil über sich selbst vielleicht schon gesprochen, auch wenn er das noch nicht weiss. Das war schon bei König Ödipus so. Das ist seither nicht anders geworden. Sophokles und die alten Griechen wussten das. Das sollte eigentlich in der Humanistenstadt Basel jeder wissen.

Dr. iur. Peter Zihlmann ist Rechtsanwalt in Basel, bekannt als Justizkritiker und Buchautor.
Publikationen: «Der Börsenguru – Aufstieg und Fall des Dieter Behring», «Justiz im Irrtum», «Das Gesetz über dem Recht», «Die Tochter des Magistraten».