Der Heiler und sein Schatten

Schweizerische Ärztezeitung #88, 2007

Am 19. März 2007 wurde das Urteil des Appellationsgerichts vom Bundesgericht in allen Punkten bestätigt: Dr. med. Guido A. Zäch war durch die zweite Instanz des Basler Gerichtes wegen mehrfacher Veruntreuung in Sachen Gehalt, Spenden und Nebenkosten zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 16 Monaten verurteilt worden. Doch selbst nach diesem Urteil blieb der Stiftungsrat von der Integrität seines Präsidenten überzeugt und solidarisierte sich einstimmig mit ihm. Nur unter dem Druck der höchstrichterlichen Verurteilung in Lausanne, der eidgenössischen Aufsichtsbehörde und der medialen Öffentlichkeit erklärte sich Guido Zäch im Juni bereit, den Deliktbetrag zurückzuzahlen und per Ende September 2007 als Präsident des Paraplegiker-Stiftungsrates zurückzutreten.

Der bekannte Buchautor und ehemalige Advokat Peter Zihlmann schildert in seinem neusten Buch den Aufstieg und Fall des wohl bekanntesten Schweizer Arztes. Eine klug geschriebene, einfühlsame Reportage über eine einzigartige Karriere, die am Ende trotz unbestrittenen Errungenschaften zum Justizfall wurde. Erzählt wird auch die persönliche Geschichte einer Freundschaft zwischen Patient und Arzt, die nach langjähriger gemeinsamer Arbeit in einem bitteren Duell endete. Im ersten Teil «Vita Zäch» wird geschildert, wie Guido Zäch, im dritten Wahlgang zum Chefarzt des Paraplegikerzentrums Basel gewählt, den vernachlässigten Betrieb unbürokratisch und im Alleingang zur effizienten Klinik umstrukturierte. 1975 gründete er in Basel eine Stiftung mit dem Namen «Schweizerische Paraplegiker-Stiftung», 1977 erschien die Vierteljahreszeitschrift «Paraplegie», mit einer Auflage von inzwischen einer Million Exemplaren in allen Landessprachen. Als Vortragsreisender, Filmproduzent und Drehbuchautor, Fundraisinggenie und geschickter Vernetzer gelang es ihm, eine Volksbewegung zugunsten der Paraplegiker auszulösen. 1978 gründete er den Gönnerverein, dem heute mit über 1,2 Millionen Mitgliedern grössten der Schweiz. Genial war die Idee, jedem Gönner für seinen jährlichen Beitrag von 30 Franken eine Soforthilfe von 150 000 Franken zu garantieren. Eine Volksversicherung, die das Bundesamt für Privatversicherungen als Mitgliedervergünstigung tolerierte. Durch Zächs Aufteilung der Spendenerträge auf Verein und Stiftung entstanden auf völlig legale Art zwei Organisationen und Kassen, die ein juristisches Doppelleben führten, in das nur der Gründer Einblick hatte: «Die Aufteilung der Spendenkapitalien in eine offizielle Kasse der Stiftung und in ein zusätzliches geheimes Rückhaltebecken beim Verein ermöglichte es auch, den akkumulierten Reichtum zu verstecken.» 1980 entstand der Dachverband der «Schweizer Paraplegiker-Vereinigung», damit waren alle Kräfte auf diesem Gebiet um ihn versammelt. In den 30 Stiftungsjahren wurden über eine Milliarde Franken gespendet und davon rund 400 Millionen in die Bauten von Nottwil und weitere 220 Millionen für Betriebsbeiträge investiert. Während zweier Jahre hatte Zäch geplant, drei Jahre wurde gebaut, 1990 wurde das in Europa grösste und modernste medizinische Zentrum für Gelähmte gegen die Opposition der Schweizerischen Sanitätsdirektorenkonferenz eröffnet. 2005 umfasste das Imperium zusätzlich die neueröffnete «Schweizer Paraplegiker-Forschung», an der ihm zu Ehren benannten Guido A. Zäch-Strasse in Nottwil, neben elf Aktiengesellschaften mit total 1200 Mitarbeitern, wovon allein 960 im Zentrum am Zugersee. Ehrgeiz, Ausdauer, Geschick und Sendungsbewusstsein machten ein einzigartiges Werk möglich, Ämterkumulation, Sturheit und Grössenwahn brachten den Bauherrn zu Fall. ZEWO, die Zentralstelle für Wohlfahrtsunternehmen, entzog 1991 der Stiftung das Gütesiegel, Facts war das erste Nachrichtenmagazin, das den erfolgreichen Arzt angriff. Ursache waren Zächs Fehlinvestitionen in mehrere Hotelprojekte, wovon eines als pure Vetternwirtschaft zu bezeichnen war. Selbstherrlichkeit und diktatorischer Führungsstil, Machtfülle und völlige Taubheit gegenüber zahlreichen Warnungen von seiten befreundeter und engagierter Mitarbeiter endeten mit der Demontage des grossen Chefs. Im zweiten Buchteil «Causa Zäch» kommt die Justiz zum Zuge. Ein letzter Schlichtungsversuch des «Monsieur Migros» Pierre Arnold, eines langjährigen Weggefährten, kam zu spät. Eine letzte Chance, Vergleichsbemühungen, die nach Meinung des Autors von der Staatsanwaltschaft rechtmässig und leichtfertig vertan wurden. Der zweite Teil berichtet minutiös über die Prozessverhandlungen, die PR-Kampagnen, Leserbriefe und Buchhagiographien zugunsten des Angeklagten vor dem riesigen medialen Interesse, dem sich Kläger und Verteidiger nie entziehen konnten. Für Zihlmann war es ein politischer Prozess, in dem Zäch, einmal angeklagt, keine Chance auf einen Freispruch hatte. Es gab keine Opfer, vieles war verjährt, der Verurteilte hatte über Jahre grobfahrlässig, aber nicht vorsätzlich gehandelt, ein Wirtschaftskrimineller oder Abzocker war er nicht. Hart, unnachgiebig und gefühllos sei die Basler Justiz ihren technokratischen Weg gegangen, ohne den Menschen zu sehen.

Was wurde Guido A. Zäch zum Verhängnis? Der Autor deckt, bei aller Sympathie für den Arztpionier, mit vielen Beispielen dessen Schwächen auf. Er habe durch seinen Drang nach Personenkult die gutschweizerische Bodenhaftung verloren. Zihlmann spricht vom Drama des verborgenen Kampfes, den Dr. Jekyll mit seinem Schatten, Mr. Hyde, ausficht. Das ist gut beobachtet und ganz psychoanalytisch im Sinne der Polarität «Heiler–Kranker» gedacht. Der Arzt, der diese innere Polarität verdrängt, macht aus seinem Patienten ein Objekt für seine Machtansprüche. Beide versagen, der Arzt und der Patient. Aus den Reihen der Querschnittgelähmten kam auch seltene Kritik am immensen Machtgefälle. Im Vorfeld des Zäch-Prozesses formulierte ein Leserbrief in der NZZ: «Wenn die zum Aufbau dieser Machtpositionen benutzten erstarkenden Behinderten es dann wagen, eine faire Position an der Seite ihrer Retter zu fordern, richtet sich die geballte Wut ihrer selbsternannten Beschützer gegen sie und offenbart die versteckten Motive.» Genauso erging es dem querschnittgelähmten Nationalrat und Mitstreiter Marc F. Suter, der den Mächtigen, nach langen inneren Kämpfen, in die Schranken wies.

Erhard Taverna