Wer Bussen nicht bezahlt, landet im Gefängnis. Doch jetzt legt sich ein Anwalt mit dem Staat an.
Facts Nr. 22, 29. Mai 1997
Der Ausflug des 25-jährigen Bauspenglers Kurt Schmid in ein McDonald’s-Restaurant im deutschen Wyhlen endete am Grenzübergang. Die Zöllner stoppten den Basler und befahlen ihm, sich auszuziehen. Den Grund erfuhr er kurz darauf auf dem Polizeiposten Horburg BS: Er hatte im Jahr zuvor dreimal falsch parkiert und die Bussen dafür nicht bezahlt. Drei Tage verbrachte Schmid in Haft. Erst am vierten Tag durfte er telefonieren und Geld organisieren, um die Strafzettel zu bezahlen. Daraufhin wurde er aus der Strafanstalt entlassen.
Jährlich kommen in der Schweiz Hunderte von Personen hinter Gitter, weil sie ihre Bussen nicht bezahlt haben. Laut Bundesstatistik hat sich die Zahl der vollzogenen Haftstrafen wegen Bussenumwandlungen innert der letzten zwölf Jahre fast verdreifacht. Von 364 Einweisungen 1982 stieg sie auf 938 im Jahr 1996. Der Trend ist Ausdruck der schlechten Wirtschaftslage: Ins Gefängnis kommen Gebüsste, bei denen sich auch eine Betreibung nicht mehr lohnt, weil nichts zu holen ist.
Am meisten Bussensünder weist der Kanton Basel-Stadt ins Gefängnis ein: 433 waren es letztes Jahr. Hier wirft sich jetzt ein privater Ombudsmann für die Gebüssten ohne Geld in die Bresche: Peter Zihlmann, einst schillernder Wirtschaftsanwalt und Verteidiger des 1993 als Betrüger verurteilten André Plumey. Er leistet im Auftrag einer privaten Stiftung «Hilfe bei der Durchsetzung berechtigter Ansprüche gegen Unternehmen und Staat». Zihlmann empört, dass Menschen in Not, die kleine Delikte begangen haben und ihre Rekursmöglichkeiten nicht ausschöpfen, härter angefasst werden als mittelschwere Verbrecher, über die meist nur bedingte Haftstrafen verhängt werden.
Zum Beispiel die 24-jährige Carmen Schnyder: Sie erhielt vom privaten Ombudsmann einige hundert Franken, damit sie nicht wegen einer 50-Franken-Busse der Verkehrsbetriebe ins Gefängnis musste. Zuvor hatte sie ihr letztes Geld für Bussen ihres Freundes ausgegeben. Die Fahnder waren schon in der Wohnung gestanden, um Freund Michele Burkart ins Gefängnis abzutransportieren.
An Ostern rief Zihlmann das Strafgericht Basel-Stadt in einem Brief auf, Geldbussen nicht mehr in Freiheitsstrafen umzuwandeln. «Sie wissen, dass Kurzstrafen sich sozial schädlich auswirken», schrieb der Anwalt. Sonst, drohte Zihlmann in einem Postskriptum an, werde er die Bussen selbst bezahlen.
Der Brief ging auch an die Obergerichte der Kantone Zürich, Bern, Aargau und Freiburg. Diese Kantone schickten neben Basel während der vergangenen Jahre am häufigsten Bussensünder in den Strafvollzug. Eine Spitzenposition hält aber auch der Kanton Waadt: Dort hat sich die Zahl der inhaftierten Bussensünder in drei Jahren verneunfacht.
Die Leute, die ein paar Tage hinter Gittern verbringen, sollen auf andere Bussensünder abschreckend wirken. Rund 70 Prozent der Gebüssten, schätzen Richter, zahlen ihre Busse doch noch, wenn ihnen nach der Bussenumwandlung Haft droht. «Also», folgert etwa Ralph Hofer, Einzelrichter in Bern, «ist die Bussenumwandlung doch zu etwas gut.»
In Basel hat Peter Zihlmann seine Ankündigung trotzdem wahr gemacht. Während der letzten Wochen gab er 4’500 Franken aus seiner privaten Kasse für die Bussen fremder Leute aus. 6’500 Franken hält er für weitere Fälle bereit.
Für den Kanton Basel-Stadt ist das ein Glücksfall. Er spart durch Zihlmanns Einsatz rund 90’000 Franken. 11’000 Franken nimmt er an Bussen ein, die er sonst hätte abschreiben müssen. Über 6’000 Franken spart er an Verwaltungs-, rund 73’000 Franken an Gefängniskosten.
Pro 30 Franken Busse gibt es nach offiziellem Umrechnungsschlüssel einen Tag Haft. Ein Tag Haft kostet den Kanton aber mindestens 200 Franken.
Jeannine Keller