BaZ: Ein bewegtes Leben für – und gegen die Justiz

Basler Zeitung 22.03.2004

Der Fall Plumey machte Peter Zihlmann bekannt. Für eine Erfolgsstory hält er ihn trotzdem nicht. Doch der Fall veränderte sein Leben: Aus dem ehrgeizigen Wirtschaftsanwalt wurde ein Anwalt für Menschen in Not und ein scharfer Justizkritiker. Nun nimmt er seinen Hut und geht in Pension.

In seinem Büro an der Aeschenvorstadt hat Peter Zihlmann seine Liebsten gern um sich versammelt. Fotografien seiner Tochter, seines Sohnes, seiner Enkel – er ist dreifacher Grossvater -, seines Vaters, seiner Mutter und seiner Frau zieren Pult, Sideboard und Büchergestell. Ob Zihlmann ein Familienmensch ist? Der Anwalt presst die Fingerspitzen zusammen und denkt nach. «Doch, ich denke, wir haben einen guten Zusammenhalt – allerdings gehe ich nicht davon aus, dass Harmonie ein Dauerzustand ist.»

In der Tat: In den vergangenen zehn Jahren gestalteten sich die harmonischen Phasen in Peter Zihlmanns Leben eher kurz. Dies lag einerseits an seinem Beruf als erster privater Ombudsmann von Basel und damit als Verteidiger von «hoffnungslosen Fällen» und andererseits an seinem Charakter. Zihlmann gibt sich nämlich nicht mit halben Sachen ab und er schenkt sich nichts. Wenn er sich für etwas einsetzt, dann tut er es mit Haut und Haaren, ohne Rücksicht auf persönliche Verluste. Wie damals im Fall von Peter M., der wegen Diebstahls zu vier Wochen Haft verurteilt worden war. «Ohne Beweise, ohne Geständnis, Vorstrafen, nichts.» Als seine Proteste bei der Basler Staatsanwaltschaft nichts fruchteten, ging der Basler Ombudsmann aufs Ganze. Er werde sein Anwaltspatent öffentlich zerreissen, liess er die Basler Staatsanwaltschaft wissen, sollte diese den Mann nicht laufen lassen.

Ein Anwalt geht aufs Ganze

Die Moral von der Geschichte: Peter M. kam frei und Zihlmann wurde in einem Disziplinarverfahren vor höchster Instanz wegen Verstosses gegen den Verhaltenskodex der Zunft gebüsst. Den engagierten Anwalt störte es wenig, hatte er doch schon damals seine liebe Mühe mit gewissen Gepflogenheiten seiner Zunft. 1997 klagte er beim Europäischen Gerichtshof in Strassburg gegen die Baslerische Strafprozessordnung – und erhielt Recht. Der Europäische Gerichtshof hielt die Basler Regelung, wonach der Staatsanwalt einerseits als Haftrichter auftritt und andererseits auch noch als Ankläger im Strafprozess für nicht menschenrechtskonform. Seither gilt in Basel eine europakonforme Prozessordnung und Peter Zihlmann bekam das Label «Justizkritiker» umgehängt.
Doch als Justizkritiker wurde der Basler Anwalt nicht geboren, im Gegenteil. «Genau das, was mich heute am System stört, hat mich früher völlig fasziniert: Diese emotionslose Sachlichkeit und Klarheit, die für jede Situation einen Begriff und auf jede Frage eine Antwort parat hat. Klar und einfach. Heute sehe ich die Beschränktheit dieses Denkens und die oft brutale Simplifizierung des Lebens, die damit einhergeht.»
Nach seinem Anwaltsexamen 1965 wurde Zihlmann Rechtskonsulent der Ciba, reiste «in der Weltgeschichte herum» und verdiente gutes Geld. Vier Jahre später wechselte er zur Weitnauer Trading, bevor er im Jahre 1973 mit drei Anwaltskollegen dieser Firma ein eigenes Treuhandbüro aufbaute. Dieses entwickelte sich schon bald zu einer angesehenen Wirtschaftsberatungsfirma und Advokatur. Fast 20 Jahre lang war Zihlmann danach ein klassischer Wirtschaftsanwalt, der sich über moralische und politische Fragen kaum den Kopf zerbrach – bis zu jenem schicksalhaften Tag im Jahre 1985, an welchem er auf die Bitte eines Mittelsmannes die Verteidigung des Managers André Plumey übernahm, der wegen Veruntreuung von 200 Millionen Franken vor Gericht stand. «Ich war ja kein Waisenknabe, aber was ich da erlebte, hat mich schockiert.»
Nicht nur gab es im Fall Plumey kein Akteneinsichtsrecht, kein Anwesenheitsrecht des Verteidigers bei der Einvernahme seines Klienten und keinen speziellen Haftrichter – was sich nach der Klage Zihlmanns in Strassburg ändern sollte -, sondern Zihlmann musste auch feststellen, dass die Strafverfolgungsbehörde durchaus nicht immer mit lauteren Mitteln operierte, wie er in seinem vielbeachteten Buch «Der Fall Plumey/Die Ware Wahrheit» festhielt. Trotzdem gelang es Zihlmann, das Strafmass seines Klienten von 7 Jahren auf 4 Jahre und 9 Monate zu reduzieren, unter anderem weil er beweisen konnte, dass sein Mandant sich nicht ungerechtfertigt bereichert hatte. Der Fall Plumey erregte das Interesse der Presse und machte Zihlmann schweizweit bekannt. Für eine «Erfolgsstory» in seiner Laufbahn hält er ihn trotzdem nicht. Immerhin brachte der Fall ihm unzählige Aufträge ein – die er allesamt ablehnte.

Justizkritiker wider Willen

Zihlmann hängte seinen lukrativen Job als Wirtschaftsanwalt 1994 an den Nagel und wurde Basels erster privater Ombudsmann. Im Auftrag der gemeinnützigen Stiftung Gerard Kraemer half er von da an mittel- und hilflosen Menschen, ihre Rechtsansprüche gegenüber dem Staat und der Wirtschaft durchzusetzen. Seither sind zehn Jahre vergangen, in denen Zihlmann manch eine Niederlage einstecken musste, aber auch viele «stille Erfolge» feiern konnte. Davon künden die Figurinen, Talismänner und Heilsteine auf seinem Bürotisch, allesamt Geschenke dankbarer Klienten. Nun gibt Zihlmann den Stab an seinen Freund und Anwaltskollegen Stefan Suter weiter und geht in Pension. Eine ruhige Kugel schieben wird er deshalb aber nicht: «Jetzt habe ich endlich Zeit, um ausgiebig zu lesen und Bücher zu schreiben.» Soeben ist sein neues Buch «Das Gesetz über dem Recht» erschienen.

Patrizia Derungs