Wenn eine Strafsache zum Machtkampf wird

Gedanken zum Buch «Der Fall Plumey – die Ware Wahrheit»

Neue Zürcher Zeitung, 04.07.1995

Der Financier André Plumey hat in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre mit Kundengeldern von insgesamt 200 Mio. Fr. ein Finanzimperium aufgebaut, das – einem Kartenhaus ähnlich – Mitte der achtziger Jahre in sich zusammengestürzt ist. Der Ende 1993 gegen ihn geführte Prozess endete mit einer Verurteilung zu sieben Jahren Zuchthaus. Sein Strafverteidiger hat sich nun mit einem «Tatsachenroman» an die Öffentlichkeit gewandt, der den «Fall Plumey» aus Sicht eines Insiders aufrollt. Für die Autorin der nachfolgenden Rezension gewährt das Buch eine lehrreiche Einsicht in ein Verfahren der Basler Strafjustiz.

Kein Kriminalroman, kein literarischer Reisser, aber ein interessantes Lehrstück über ein Verfahren aus der Basler Strafjustiz: An der Genfer Buchmesse trat Rechtsanwalt Peter Zihlmann mit dem Buch «Der Fall Plumey – die Ware Wahrheit» über den von ihm verteidigten Fall des Finanzpleitiers André Plumey an die Öffentlichkeit. Nicht dass Plumeys Fall von herausragender Bedeutung wäre; dessen Vorgeschichte ist so banal wie diejenige jedes Senkrechtstarters ohne Rückgrat und flugtaugliches Equipment. Interessant hingegen ist der gewährte Einblick in das Innenleben eines Straffalls, der die Justiz herausgefordert hat; interessant ist auch der Einblick in die Daten des Erkenntnisprozesses. Wer Strafverfahren nur als Husarenstücke aus dem amerikanischen Kino oder Fernsehen kennt, kann mit diesem Buch ernüchternde Einsichten gewinnen.

Unergiebige Reibungsverluste

Obwohl von Haus aus Wirtschaftsanwalt und Richter in Zivilsachen, übernahm der Autor die Verteidigung von André Plumey. Dieses Verfahren lehrte Zihlmann, dass Fairness und Gerechtigkeit in Strafsachen zuweilen nur eitle Frage des Standpunktes oder der inkarnierten Praxis sind. Dessenungeachtet hielt Zihlmann stur an dem fest, was er für gerecht hielt, sehr zum Unmut der Basler Strafbehörde, die sich mit schwindendem Erfolg an ihre überholte Strafprozessordnung aus dem Jahre 1931 klammerte.

In seinem Buch beschreibt Zihlmann mit anwaltsüblicher Sorgfalt den hart geführten Kampf zwischen Verteidigung und Strafbehörden um das, was in Plumeys Fall Recht werden wollte. Dabei wirft er die Basler Justiz in die Schale seiner Justitia und gelangt zu einer düsteren Prognose. Allerdings ist das letzte Wort im Straffall Plumey nicht gesprochen: Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Verteidigung Berufung eingelegt. Die schriftliche Begründung des schon vor Weihnachten 1993 eröffneten Urteils liegt bis heute nicht vor.

Die Geschichte beginnt nicht gerade leichtfüssig mit der Beschreibung der Flucht des Pleitiers und seines eskapadenreichen neuen Lebens in Kanada. Mit der Verhaftung seines Klienten I gelangt der Autor aber sichtlich auf vertrauten Boden und lässt den Leser zum Zeugen eines kurzweilig beschriebenen vierjährigen Verfahrens werden. Das Vergnügen des Beobachters entwickelt sich in dessen Verlauf umgekehrt proportional zu demjenigen der Prozessbeteiligten, die sich zunehmend in unproduktiven Stellungskämpfen verloren. Der Leser staunt, dass mit soviel Aufwand in der Justiz so wenig erreicht werden kann; hier regiert eben Verbissenheit statt Sachlichkeit.

Verborgene Dateien im Erkenntnisprozess

Mit spitzer Feder und scharfem Verstand legt Zihlmann die strategischen und psychologischen Aspekte bloss, die das Denken und Handeln von Verfolger, Verteidigung und Gericht geleitet haben. Angesichts der Prämisse dieses Buches, wonach Plumey schon wegen des angerichteten Schadens zum voraus als schuldig galt, schwant einem nichts Gutes. In der Tat war die Ausgangslage für Plumeys Strafverfahren nicht gerade günstig: Beim Zusammenbruch seiner Finanzgruppe verschwand der Pleitier nicht nur nach Kanada und heiratete dort unter falschem Namen. Er hinterliess auch 762 Kunden und einen Fehlbetrag von 20 Mio. $, was in der Lesart der Anklage schliesslich 762 Geschädigte und eine Deliktsumme von 200 Mio. Fr. hergab. Plumey hatte seinen Kunden während seiner Geschäftszeit Renditen bis zu 30% ausbezahlt und – als die Gewinne aus seinen Anlagen im amerikanischen Ölgeschäft ausblieben – diese aus den ihm anvertrauten Mitteln finanziert. Nach Zihlmann hat die Untersuchung aber weder Betrug noch Urkundenfälschung, sondern höchstens Veruntreuung nachgewiesen. Veruntreuung wurde, aber nicht eingeklagt, diese wäre nämlich vor Erlass eines rechtskräftigen Urteils verjährt. Trotzdem oder nach Zihlmann gerade deswegen – verurteilte ihn die erste Instanz nach mehrwöchigem Strafprozess wegen gewerbsmässigen Betrugs und Urkundenfälschung zu sieben Jahren Zuchthaus.

In seiner Vorbemerkung unterstreicht der Autor, dass alle von ihm geschilderten Vorgänge authentisch seien. Nur die Namen der beteiligten Personen habe er geändert. Die Pseudonyme ziehen die, leidvolle Verfahrensgeschichte erst recht in den Dunstkreis eines mittelklassigen Schauspiels: Plumey bleibt Plumey und spielt den Spielball. Zihlmann alias Zwengmann ist der arrogante Zwängli, der den obrigkeitlich verordneten Trott des Justizverfahrens nicht hinnimmt und darauf beharrt, als Verteidiger auch verteidigen zu wollen. Staatsanwalt Klemmer kann Verteidigung nicht leiden und klemmt jede Einmischung in «seine» Untersuchung ab. Und schliesslich ist da die Gerichtspräsidentin Bullinger, die ihre Hauptverhandlung verteidigt wie die Bulldogge ihr Gärtlein und mit Biss jede Attacke aus, der Verteidigungsecke niedermacht.

Ein Buch als Quittung des Verteidigers

Zihlmann betont, dass nur die im Buch geschilderten Gespräche zwischen Dritten nicht authentisch, sondern frei nachempfunden seien, «soweit sie nicht von der Staatsanwaltschaft abgehört und protokolliert worden sind». Maliziös fügt er hinzu, wenn bei solchen Gesprächen zwischen Richtern, Staatsanwälten und Beamten Ähnlichkeiten mit den Verhältnissen bei der Basler Strafjustiz festgestellt würden, so seien sie «weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich».

Ob des geschilderten Verfahrensverlaufs ist es Zihlmann kaum zu verdenken, dass er als Parteivertreter in Rage geraten ist. Sein Rapport über den Fall Plumey gereicht der Basler Strafjustiz sicher nicht zur Zierde – ebensowenig wie Plumey dem Basler Finanzplatz. Fast scheint es, als hätten Klemmer und Bullinger ihren Zwengmann gesucht wie Plumey sein Urteil. Nur, bis Plumeys Urteil endgültig gefunden ist, fliesst noch viel Wasser den Rhein hinunter. Der Fortgang des Verfahrens wird weisen, ob die Basler Justiz am Ende doch besser ist, als Zihlmann gedacht hat.

Vera DeInon, Rechtsanwältin (Zürich)