Der Fall Plumey – ein Justizskandal?

Das aktuelle Buch

Basler Zeitung 28.04.1995

Es ist ungewöhnlich, dass ein Strafverteidiger, und erst noch nach verlorenem Prozess, einen Tatsachenroman über seinen grossen Fall schreibt. Der Basler Anwalt Peter Zihlmann schildert nicht unparteiisch, aber spannend das menschliche und juristische Schicksal des wegen Betrugs verurteilten André Plumey.

Am 22. Dezember 1993 war André Plumey (damals 64 Jahre alt) nach 556 Tagen Untersuchungshaft in erster Instanz von einem Basler Strafgericht wegen gewerbsmässigen Betrugs und Urkundenfälschung zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Mit einer Schadensumme von gegen 300 Millionen Franken hatte der Fall des jurassischen Financiers die Öffentlichkeit bewegt, um nicht zu sagen erregt. 762 Investoren hatten ihren Einsatz bei Plumey verloren, vor allem wegen riskanter Ölgeschäfte in den USA.
Rechtzeitig zur Genfer Buchmesse legt Plumey-Strafverteidiger Rechtsanwalt Peter Zihlmann, mit dem vielsagenden Untertitel «Die Ware Wahrheit», einen – wie er selber in der Vorbemerkung schreibt – «Tatsachenroman» über den Fall Plumey vor, «ein Report über die rastlose Jagd nach Geld, Geltung und Vergeltung». Der Leser gewinnt den Eindruck, dass der Autor selbst erlebte und von Dritten geschilderte Ereignisse eingebracht hat.

Fiktion sind die meisten Gespräche zwischen den Akteuren, soweit sie, wie der Verfasser maliziös anmerkt, nicht von Abhörgeräten der Justiz aufgezeichnet wurden und später auch dem Verteidiger zugänglich waren. Zihlmann, der die meisten Namen der Akteure zur Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte verfremdet hat, nennt sich selber nicht ohne Humor «Zwengmann»; in den Kapiteln, die seit der Verhaftung bis zur Verurteilung Plumeys in Basel spielen, macht sich der Autor zur Hauptfigur seiner Schilderungen, hinter der Plumey verblasst. Als Strafverteidiger seines «Helden» greift der Autor Partei: Er schreibt, dass und wie er die Affäre als Basler Justizskandal erlebt hat. Er setzt das veraltete, aus dem Jahre 1931 stammende Basler Strafsystem und die ausführenden Organe, vor allem den Staatsanwalt und das Gericht, auf die Anklagebank: «Sollten sich», so erläutert der Autor den romanhaften Teil seines Buches sarkastisch, «bei der Schilderung von Gesprächen zwischen Richtern, Staatsanwälten und Beamten Ähnlichkeiten mit den Verhältnissen bei der Basler Strafjustiz ergeben, so sind diese weder beabsichtigt, noch zufällig, sondern unvermeidlich.»

Zihlmann-Zwengmann hätte leicht der Versuchung unterliegen können, die beleidigte Leberwurst zu spielen; er gibt zu, dass die Niederlage der Verteidigung totaler nicht hätte sein können: Das Gericht war mit seinem Entscheid über den Antrag des Staatsanwalts, der sechseinhalb Jahre gefordert hatte, hinausgegangen. Der Verlierer greift nun zur Feder, nicht nur, um das Schicksal des Angeklagten und die «Körpersprache» der Justiz bis in alle Einzelheiten und nicht ohne Häme nachzuzeichnen.Der Anwalt glaubt mit seinem Roman ein wirksames Mittel gefunden zu haben, um den Kampf um Gerechtigkeit mit anderen Mitteln fortzusetzen. Schon während der ausserordentlich lange dauernden Recherchier-Phase vor Beginn des Prozesses hatte Zihlmann nach Verbündeten Ausschau gehalten, die seine Sicht der Dinge in die Öffentlichkeit tragen sollten. Mit wiederholten Demarchen gegen das Vorgehen der Staatsanwälte, darunter – teilweise sogar erfolgreiche – Beschwerden an das Bundesgericht und mit der Zuflucht zu den Medien, war er der Basler Justiz schwer auf den Wecker gefallen. (Während der ausserordentlich lange dauernden juristischen Abklärungen war es zu einem Medienkrieg zwischen der Basler Staatsanwaltschaft und dem Plumey-Verteidiger gekommen, an dem sich auch die BaZ beteiligte.)

Zihlmann wurde bis zuletzt den Verdacht nicht los, dass das Gericht mit dem drakonischen Urteil auch ein Signal an unbotmässige Verteidiger aussenden wollte, die nicht bereit sind, mit den Strafbehörden zusammenzuarbeiten. Die Gerichtspräsidentin nimmt der Autor besonders aufs Korn.

(In diesem Akten-Prozess, der fast ohne Zeugen (!) geführt wurde, obwohl es Hunderte von Geschädigten gab, sei, so argumentiert Zihlmann, weder der Person des Angeklagten noch seinen Taten Gerechtigkeit widerfahren. Der Staatsanwalt habe weder den Vorwurf des Betrugs noch der Urkundenfälschung nachweisen können. Zwischen dem mangelnden Nachweis und dem hohen Strafantrag gäbe es keine Verbindung. Das Gericht sei völlig unkritisch dem Staatsanwalt gefolgt und hat die Strafe sogar noch verschärft. Der Prozess sei eine Farce gewesen, weil der Angeklagte schon vor Prozessbeginn durch Medien und Öffentlichkeit «vorverurteilt» gewesen sei. Plumey galt seit seiner Flucht an einen geheim gehaltenen Ort als Grossbetrüger und damit basta. Wollte sich die Justiz bei diesem Prozess profilieren, konnte sie gar nicht anders als den Angeklagten drakonisch zu bestrafen. Haben wir in Basel eine populistische Justiz, die nicht nach dem Verschulden frägt, wie es das Gesetz befiehlt, sondern die Schuld an der Höhe des angerichteten Schadens bemisst? Der Basler Rechtsanwalt stösst sich auch daran, dass Wirtschaftstäter im Vergleich zu Verbrechern gegen Leib und Leben viel härter angepackt werden.

Zihlmann hatte Freispruch gefordert, weil schuldhafte Absicht bei Plumey nicht erkennbar gewesen sei. Er hatte sich verspekuliert; war ein guter Verkäufer, aber ein schlechter Manager gewesen, der zu sehr auf falsche Freunde vertraut und die Risiken nicht gesehen habe. Ein Bankier soll zu Plumey gesagt haben: «Wenn das strafbar ist, was Sie gemacht haben, dann müssen alle Bankdirektoren in den Käfig…» Zihlmann entfaltet facettenreich vor den Augen der Leser das Bild einer zerrissenen Persönlichkeit auf der Flucht vor der Wirklichkeit, die aber selbst dann, als sie in die Fänge der Justiz gerät, ihre Würde nicht verliert. Ausgiebig werden PIumeys Liebesgeschichten nach allen Seiten, die Heirat mit einer kanadischen Diplomatin und andere pikante Episoden auf der Flucht in Kanada und Brasilien geschildert. Mag sein, dass der Autor die hellen Seiten seines Helden zu stark ausleuchtet, auf jeden Fall zollt Zihlmann dem Charme seines Mandanten Tribut und überlässt ihn vertrauensvoll dem Mitgefühl des Lesers.

Zihlmann, der sich schon durch juristische Publikationen einen Namen als Fachautor gemacht hat, beweist seine publizistische Begabung auch in diesem aktuellen Tatsachenroman. Gelegentliche sprachliche Unbeholfenheiten hätte der Lektor ausbügeln müssen. Bis auf einige Wiederholungen, die wahrscheinlich auf belehrenden Übereifer zurückzuführen sind, eine spannende Lektüre, die nicht nur unterhält, sondern auch nachdenklich und manchmal sogar wütend macht. Ganz im Sinne des Autors.

N. B. Bis heute, rund 500 Tage nach der Urteilseröffnung, steht die schriftliche Urteilsbegründung immer noch aus. Zihlmann hatte sofort gegen das Urteil appelliert; auch darauf bis heute keine Reaktion. Plumey, inzwischen im 66sten Altersjahr, befindet sich – wie man so schön sagt – auf freiem Fuss. Seine Gesundheit aber ist noch schlechter geworden. Zurzeit hütet er ein Spitalbett. An der Genfer Buchmesse wollte er dabei sein, wenn das Buch über ihn an einer Pressekonferenz vorgestellt wird. Sein Auftritt musste abgesagt werden.

Werner Meyer

Peter Zihlmann, Der Fall Plumey – Die Ware Wahrheit. Editions Slatkine, Genf 1995. Gleichzeitig erscheint beim selben Verlag eine französische Übersetzung.


Zur Person
Peter Zihlmann

wm. Dr. iur. Peter Zihlmann (57) hat seine juristische Karriere nach Studienaufenthalten in Paris und New York als Rechtskonsulent bei der Ciba und Weitnauer Trading Ltd. begonnen. Seit 1973 ist der Rechtsanwalt und Notar in Basel mit Schwerpunkten Handels- und Wirtschaftsrecht tätig. Der Auftritt als Strafverteidiger von André Plumey war bisher sein grösster Fall. Seit 1970 amtet Zihlmann als Ersatzrichter am Zivilgericht Basel-Stadt, und seit 1980 ist er ausserordentlicher Zivilgerichtspräsident, wo er über Mietstreitigkeiten entscheidet. Aus seiner Feder stammt ein umfassendes Werk zum Mietrecht, das in einer populären Ausgabe auch in die Reihe der «Beobachter»-Ratgeber aufgenommen wurde. Seit 1994 berät Zihlmann als «Privater Ombudsmann» bedürftige Menschen unentgeltlich und unterstützt sie bei der Durchsetzung ihrer Anspruche gegenüber dem Staat und Unternehmungen. Im letzten Jahr haben rund 400 Personen diesen Service in Anspruch genommen.