Sieben Schüsse auf den Freund der Tochter

Migros-Magazin 28.07.2008

Als er sich ins Auto setzt, zieht Saljihe die Pistole aus der Handtasche. Die bis dahin unbescholtene Putzfrau aus dem Kosovo erschiesst im April 2000 in Basel den 28-jährigen Arif. Nach einem Landesverweis lebt sie heute im Kosovo. Das Schweizer Fernsehen zeigt in einer DOK-Sommerserie, wieso Frauen töten.

Teuta freut sich auf zwei Dinge ganz besonders: Auf den Schweizer Pass, den sie, ihr Mann und ihr fünfjähriger Sohn Ende Jahr erhalten werden. Und auf die Reise in den Kosovo zu ihrer Mutter Saljihe. Die 26-jährige Teuta wird zum ersten Mal das Haus sehen, in dem ihre 47-jährige Mutter seit vier Jahren wohnt. Es ist ein verfallenes Gebäude in einem Hinterhof bei Pristina, in dem die Mutter ohne Strom und fliessendes Wasser mit einer älteren Frau zusammenlebt, einer Fremden. Die Alte hat Saljihe von der Strasse geholt. Nach einer Gefängnisstrafe von viereinhalb Jahren ist Saljihe aus der Schweiz ausgeschafft worden. Sie hat am 18. April 2000 in Basel den Freund ihrer Tochter erschossen.

Zwei Familien ins Elend gestürzt

In der Ein-Zimmer-Wohnung, die Saljihes Tochter Teuta zusammen mit ihrem Freund Arif an der Jägerstrasse in Basel bewohnte, hatten sich Saljihe und Arif erst wüst gestritten. Dann stürmte Arif hinaus, setzte sich in seinen grauen Honda und wollte losfahren. Saljihe streckte ihn aus 20 Zentimetern Distanz mit sieben Schüssen nieder. Sie befreite ihre Tochter von einem Mann, der sie misshandelt und wie eine Gefangene gehalten hatte. Gleichzeitig stürzte sie zwei Familien ins Unglück.
Während mehr als zehn Jahren hatte Saljihes Familie unauffällig in der Schweiz gelebt und gearbeitet. Nach der Bluttat brach das Unheil los: Die Mutter, die als Putzfrau ihr Einkommen verdiente, wurde ausgewiesen; der Vater verlor seinen Pachtvertrag für ein rentables Restaurant und alles Geld wegen hoher Prozesskosten. «Das Geld reicht nicht einmal mehr, um meiner Frau ein paar Euro fürs Leben im Kosovo zu schicken », sagt Jusuf, der eine Invalidenrente erhält.16 Fussoperationen und Schmerzen nach einem Autounfall verunmöglichen es ihm zu arbeiten. Nicht genug: Tochter Teuta musste sich vor vier Jahren einer 20-stündigen Leber- und Nierentransplantation unterziehen. Seither ist sie arbeitsunfähig und lebt vom Sozialamt. Noch immer belastet sie das Geschehene, sie braucht psychologische Betreuung. Dass ihre Mutter so weit weg von der Familie lebt, macht Teuta traurig. «Ich verlange nicht viel, bloss, dass sie zurückkommen kann», sagt sie.
Am 3. April 2008 hat der Basler Anwalt Peter Zihlmann für die fünfköpfige Familie ein Gesuch um Wiedereinreise für Saljihe eingereicht. Zihlmann hat 2007 den Fall in einem Buch aufgearbeitet (siehe Hinweis) und ist seither ein enger Vertrauter der Familie. In einem Schreiben an das Basler Migrationsamt schildert Saljihe ihr Unglück: «In äusserster Verzweiflung und Not über das Unglück meiner Tochter Teuta habe ich deren Partner erschossen. Eine schreckliche Untat, die ich von ganzem Herzen bereue und für die ich mich in aller Form entschuldige.»
Für das Basler Migrationsamt wiegt die Tat schwerer als das Schicksal der Familie. Im Juni hat es entschieden, dass Saljihe nicht wieder in der Schweiz leben darf.
Laut Andreas Räss, dem stellvertretenden Leiter, liegt die schwere Tat nach acht Jahren noch zu wenig lange zurück. «Auch in den nächsten zwei Jahren hat es keinen Wert, ein weiteres Gesuch einzureichen», sagt Räss.

«Ich hatte keine andere Wahl»

migros0807282Von der Frau geht eine gewisse Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus. Davon ist die Fremdenpolizei überzeugt. Andreas Räss sagt über den Fall: «Das war keine Affekthandlung. Die Frau handelte skrupellos und berechnend.»
In dieser tragischen Geschichte, an deren Anfang eine Liebe stand, bleiben viele Fragen offen. Warum tötete Saljihe? Aus Verzweiflung? Wollte sie die Ehre der Familie retten? Sie selber sagt: «Es geschah zufällig. Ich hatte keine andere Wahl und habe einfach geschossen.» Teuta versteht den Ausweisungsentscheid nicht. «Meine Mutter würde so etwas nie wieder machen.»
Teuta plagen die Schuldgefühle heute noch. «Hätte ich damals, als ich in Arif verliebt war, auf meinen Vater gehört, wäre das nicht passiert.» Ihr Vater, der wie die Mutter von Anfang an gegen die Beziehung war, sagt dazu: «Teuta hat zwar einen Fehler gemacht, aber schuld ist sie nicht.»
migros0807283Teuta zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. Ihr Gesicht wirkt angespannt. Dann sagt sie: «Er hat es verdient. Ich bin dankbar, dass sie es getan hat.» Arif sei «ein Idiot», «ein eifersüchtiges Arschloch» gewesen. Sieben Monate lang habe er sie als 17-Jährige in der gemeinsamen Wohnung gefangen gehalten und geschlagen. «Er riss mich an den Haaren, schrie mich an, schlug mich an die Wand, manchmal konnte ich nicht mehr gehen.» Abends habe er sie vergewaltigt. Teuta konnte keinen Kontakt mit der Aussenwelt aufnehmen. «Er kappte alle Leitungen», sagt sie, «und untersuchte sogar meine Unterwäsche nach geheimen Botschaften für die Aussenwelt.» Die Lehre als Verkäuferin musste Teuta aufgeben. Arif kreuzte mehrmals auf und zwang sie, mit ihm in die Pause zu gehen, obschon sie ihre Pause bereits gehabt hatte. Der Lehrmeisterin platzte der Kragen.
Die Angst war Teutas ständige Begleiterin. Sie wagte es nicht, ihren Eltern von ihrem Leid zu erzählen. Mehrmals habe Arif gedroht, ihre Familie umzubringen, wenn sie etwas verrate. Die Eltern machten sich Sorgen, wussten jedoch nicht genau, was vor sich ging. Sie fanden heraus, dass Arif die Familie zwei Mal belogen hatte. Er war nämlich bereits mit einer Schweizerin verheiratet und nicht 24, sondern 28 Jahre alt. Der Vater wandte sich an die Polizei und das Jugendamt, als Arif die Familie mit einer Pistole bedroht habe. Nichts geschah.
migros0807284Die Mutter hatte Angst vor dem Freund ihrer Tochter. In ihrer Handtasche trug sie eine Pistole mit sich herum. So auch am 18. April 2000, als sie beschloss, zur Wohnung des Paares zu fahren und Arif zur Rede zu stellen. Dieser hatte seine Freundin, ohne die Eltern zu informieren, in ein Flugzeug nach Pristina gesteckt und war alleine in der Wohnung. Sie stritten zuerst in der Wohnung, dann auf der Strasse. Arif setzte sich in seinen Wagen. Dann schoss sie, sieben Mal, in Kopf und Hals. Nach der Tat versteckte sie die Waffe unter einem Blumentrog und ging einkaufen. Später rief sie ihren Mann an, der die Polizei informierte. Saljihe wurde wegen vorsätzlicher Tötung zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Tochter Teuta leidet – sie hat immer wieder Schwächeanfälle, Depressionen und Schmerzen, auch im Herzen. Vor zwei Monaten habe sie sich das Leben nehmen wollen. «Es ist besser, wenn ich sterbe, dann habe ich keine Schuldgefühle mehr», sagt sie. Ihre älteste Schwester habe sie gerettet. Mit ihrer Mutter telefoniere sie täglich. Auf das Wiedersehen im Kosovo freut sie sich sehr. «Ich will mit ihr nicht über das Gewesene sprechen, sondern über Alltägliches», sagt Teuta. «Ich will sie zum Lachen bringen.»

Text Sabine Lüthi
Bilder Alain Godet

Der Film zum Fall: «DOK – Am helllichten Tag, Selbstjustiz wegen Kulturkonflikt?» Ein Film von Alain Godet, SF1, 4.August 2008, 21.05 Uhr.
Das Buch zum Fall: «Basel – Pristina, oder die Blutrache in der Schweiz», Peter Zihlmann, Orell Füssli Verlag, 2007, 176 Seiten, Fr.29.80.