Peter Zihlmann: Basel – Pristina, oder die Blutrache in der Schweiz

www.islam.ch, Buchrezensionen, 2. Mai 2007

Eine verzweifelte Mutter erschiesst den Partner ihrer Tochter auf offener Strasse. Ein Ehrenmord in der Schweiz? Peter Zihlmanns leicht lesbarer Tatsachenbericht basiert auf einem Mordprozess vor dem Basler Strafgericht, der im Jahre 2002 stattfand.

von Hamit Duran, Turgi

Eine verzweifelte Mutter erschiesst den Partner ihrer Tochter auf offener Strasse. Der Ermordete hatte ihre Tochter nach albanischem Ritus geheiratet und verschwiegen, dass er bereits verheiratet war. Wollte die Mutter ihre Familienehre retten oder nur ihre Tochter aus den Klauen ihres gewalttätigen Partners befreien? Hat sie Blutrache geübt? Ein Ehrenmord in der Schweiz?

Heute würde dies zu einem Aufschrei in der Öffentlichkeit führen. Aber im Jahre 2000, als dieser Mord in Basel geschah, hat nur die lokale Presse darüber berichtet. Der Fall drang kaum ins öffentliche Bewusstsein. Warum? Lag es vielleicht daran, dass dieser «Ehrenmord» so gar nicht in das Klischee passt? Sollte es nicht so sein, dass Männer (Vater oder Bruder) Frauen (Tochter oder Schwester) im Namen der Ehre umbringen? Aber hier? Eine Mutter bringt ihren Schwiegersohn um! Wie kann das sein?

Peter Zihlmanns leicht lesbarer Tatsachenbericht basiert auf einem Mordprozess vor dem Basler Strafgericht, der Im Jahre 2002 stattfand. Es ist die ergreifende Geschichte einer Mutter, die tötete. Vor dem Hintergrund des alten albanischen Gewohnheitsrechts, dem «Kanun», hinterfragt er die gerichtliche Wahrheit. Er beschreibt den «Kanun», der zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch einen Franziskanerpater gesammelt und aufgeschrieben wurde, als ein unerbittliches Abrechnungssystem, in dessen Zentrum Ehrenmord und Blutrache stehen, und das sich bis in unsere Zeit auswirkt.

Der Autor begnügt sich nicht mit der Wahrheit des Gerichts; er forscht weiter, gräbt tiefer, spricht mit den Betroffenen und zeichnet deren Leben zwischen zwei Kulturen nach. Sein Bericht zeigt die verschiedenen Perspektiven und lässt so den Rechtsfall zum Menschenfall werden.

Zunächst berichtet er über seine Begegnung mit der Tochter der Täterin, die auch die Braut des Getöteten war. Dabei zeichnet er ein Bild, das die Tat in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, als es das Gericht in seinem trockenen Urteil festhält (Tötung aus nichtigem Grund). Er legt seelische Abgründe offen und forscht nach psychologischen Handlungs–motiven der Täterin. Auch die weiteren Berichte über seine Begegnungen mit dem Ehemann der Mörderin, der übrigens Christ ist, und der eigentlichen Ehefrau des Getöteten lassen den Schluss zu, dass die Mutter aus einem Gefühl der Verzweiflung und Bedrohung, also einer Art Notwehr heraus, gehandelt hat. Mit der Täterin selber konnte der Autor jedoch nicht sprechen, da sie nach der Haftentlassung widerrechtlich ausgeschafft wurde und sich nun in Albanien aus Angst vor Blutrache versteckt hält. Trotzdem versucht er herauszufinden, was in ihr vorgegangen sein mag, und was sie schliesslich in diese menschliche Tragödie führte.

Als er dann aber mit der Schwester des Getöteten und ihrem Ehemann spricht, scheint sich das Blatt beinahe zu wenden. Eine ganz andere Perspektive und Darstellung der Geschehnisse lassen plötzlich viele Fragezeichen aufkommen, so dass der Autor seine Erkenntnisse in diesen bedeutenden Sätzen zusammenfasst: «Ich urteile nicht, ja ich ergreife nicht Partei. Immer klarer erkenne ich: Solange wir im Griff von Gut und Böse gefangen sind, solange wir uns auf die eine oder andere Seite der Streitenden schlagen, werden wir von der gleichen Grundwelle überspült werden und in ihr untergehen…»

Alles in allem handelt es sich bei Peter Zihlmanns Werk um ein hoch interessantes und lesenswertes Buch für all jene, die einmal «hinter die Kulissen» eines Ehrenmordes blicken möchten.