Die Wahrheiten eines Mordfalls

NZZ, Rezensionen, 1. Juni 2007

dau. «Das juristische Fazit, wie es im staatlichen Urteil festgehalten wird, gilt als offiziell verbriefte und verbürgte Wahrheit einer Affäre.» Der Basler Publizist und Justizkritiker Peter Zihlmann interessiert sich jedoch für die Geschichte, die hinter dem Urteil steht. Etwa für jene der kosovo-albanischen Mutter, die den Partner ihrer siebzehnjährigen Tochter am helllichten Tag in Kleinbasel erschiesst, im Jahr 2002 vom Basler Strafgericht zu einer milden Zuchthausstrafe verurteilt und schliesslich von der Fremdenpolizei nach Kosovo abgeschoben wird. Den «amtlichen Wahrheitsanspruch» will Zihlmann in Frage stellen, indem er die vielschichtige Realität befragt und die Beteiligten ihre jeweilige Version der Geschichte erzählen lässt. Wie weiland in Akira Kurosawas Film «Rashomon» resultiert auch in Zihlmanns «Basel–Pristina oder die Blutrache in der Schweiz» die Einsicht: Es gibt nur Wahrheiten. Der Tote wird von der Familie der Täterin als jähzorniger, brutaler Schlägertyp beschrieben, der seine ihm nach albanischem Ritus Angetraute in der Wohnung als Gefangene hielt und verschwieg, dass er bereits verheiratet war. Indes sieht die Familie des Opfers in ihm keinen Gewalttäter, sie ist in Trauer um das verlorene Familienmitglied. Zihlmanns engagierter Blick hinter die Aktenfassade eines Gerichtsfalls ist spannend, sein Hinterfragen der richterlichen Behauptung, dass hier ein Mord aus «nichtigem Grund» begangen worden sei, und das damit einhergehende Beleuchten der kulturellen Hintergründe aller Protagonisten sind äusserst aufschlussreich. Allerdings wird die Frage, ob es sich bei der Tat der Mutter um Blutrache handle, überstrapaziert. Es ist (fast) ausschliesslich Zihlmann selbst, der von ihr spricht und gar so weit geht, das albanische Gewohnheitsrecht, den Kanun, im Unterbewusstsein der Handelnden verankert zu sehen.