Dieses Buch ist Literatur, schöne Literatur!

Betrifft JUSTIZ, Darmstadt (Deutschland) Juni 2010, der Neuen Richtervereinigung nahestehende Zeitschrift

Richter Hartmanns letzte Aufzeichnungen zur Basler Justizaffäre

Ein Schweizer Schriftsteller, früher als Rechtsanwalt und Richter in der Schweiz tätig, schreibt ein Buch zur Basler Justizaffäre. Die Affäre ist real, es handelt sich um „die“ Basler Justizaffäre aus dem Jahr 1998, die in der Schweiz – anders als in Deutschland – vermutlich jeder Jurist und jeder intellektuell interessierte Zeitungsleser kennt. Das Buch ist eine Aufarbeitung dieser Affäre, wobei der Autor allerdings bewusst offen lässt – und das ist spannend und regt die Phantasie des Lesers an –, was Realität war und was Fiktion ist.

Der Autor meint selbst, es gehe in seinem Buch um „die filmreife Geschichte über Sex, Bestechung, Drogen und verdeckte Ermittlungen im Kampf gegen die Mafia in der Schweiz.“ Diese Bewertung teile ich nur in einem Punkt nicht: Die Affäre ist nicht „filmreif“; denn sie ist in vielen Details so absurd und abwegig, dass kein Drehbuchautor sie für einen Spielfilm akzeptieren würde. Dies gilt für die reale (!) Geschichte, die man aus Medienberichten im Internet erfahren kann, genauso wie für die Geschichte des Autors, von der offen bleibt, ob sie auf Grund der speziellen Kenntnisse des Autors der Realität noch etwas näher kommt, als die damaligen Medienberichte. Mehr möchte ich an dieser Stelle zu der Geschichte nicht verraten.

Der Autor Peter Zihlmann war in der realen Affäre sozusagen „Partei“. Er war Verteidiger einer Frau, die eine wichtige Rolle in der Affäre spielte und am Ende der Affäre – möglicherweise – eine Sündenbockrolle spielen musste. Die Parteilichkeit des Autors schadet dem Buch in keiner Weise. Im Gegenteil: Es ist ein Gewinn, die Affäre aus einer bestimmten Perspektive zu sehen, die in den Medien damals eine geringere Rolle gespielt hat.

Das Buch war für mich ungeheuer kurzweilig und anregend. Es gibt in der spannenden und unglaublichen Geschichte unterschiedliche Ebenen und Betrachtungsweisen. Dazu gehören an ein paar Stellen kritische juristische Analysen der rechtlichen Abläufe. Außerdem bietet die Affäre dem Autor Gelegenheit zu philosophischen und psychologischen Reflexionen über Justiz und Gerechtigkeit. Im Zentrum steht allerdings die schlichte Erzählung der einzelnen Details der Geschichte, die vom Autor menschlich, psychologisch und politisch analysiert und gedeutet werden. Und diese Deutungen sind für mich – völlig unabhängig, ob sie der Realität entsprechen – außerordentlich stimmig und überzeugend, so dass ich bei jedem (absurden) Detail der Geschichte gedacht habe, ja, das klingt sehr plausibel.

Die Erzählung ist aus meiner Sicht – und das macht sie so interessant – eine Parabel für die deutsche Justiz: So merkwürdig, rechtswidrig, macht- und interessenorientiert wie in dieser Schweizer Affäre (oder in der Deutung des Autors, was für mich keine Rolle spielt) funktioniert auch die deutsche Justiz, auch wenn das mit Sicherheit nicht immer so ist, und vor allem (hoffentlich) meistens nicht mit einer solchen Häufung gesetzesferner Aktionen von Richtern, Staatsanwälten und Kriminalbeamten. Wer als deutscher Jurist das Buch liest und hinterher meinen sollte, zu den Details der Basler Justizaffäre gebe es in Deutschland nie Entsprechungen, sollte sich überlegen, ob es ihm in Deutschland nicht an Wahrnehmungsvermögen fehlt. Vielleicht ist das Buch in Deutschland besonders gut zu lesen, weil wir hier die erforderliche Distanz zu der (in Deutschland wohl wenig bekannten) realen Schweizer Affäre haben.

Ein Fazit aus dem Vorwort des Autors, dem ich zustimme: Dieses Buch ist Literatur, schöne Literatur!

Thomas Schulte-Kellinghaus
Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe