Behring für Einsteiger

Der Bund, 23. August 2005

Das Buch über Aufstieg und Fall eines Verkaufstalents

Und ewig lockt das liebe Geld. Beispielhaft zeigt dies wieder einmal der Aufstieg und Fall des Basler Financiers Dieter Behring. Der hat es geschafft, mit grossen Renditeversprechen 890 Millionen Franken Anlagegelder anzulocken – und den Grossteil davon verschwinden zu lassen. Bereits viel Druckerschwärze ist in den letzten anderthalb Jahren in Sachen Behring vergossen worden. Für Einsteiger ins Thema legt nun der Basler Justizkritiker Peter Zihlmann, der früher als Strafverteidiger und Gerichtspräsident tätig war, ein Buch* über Behrings Karriere vor.

Im Prinzip funktionierte das «System Behring» wie ein klassisches Pyramidensystem: Man locke Gelder durch grosse Versprechungen an, weise hohe Renditen aus und befriedige Rückzahlungswünsche alter Kunden mit dem Geld neuer Kunden – bis das System zusammenbricht, weil keine Neugelder mehr fliessen. Nicht fehlen durften die beliebten Zutaten: ein unübersichtliches Firmengeflecht, viele Geldverschiebungen sowie Firmensitze an lichtscheuen Plätzen wie Bahamas und Virgin Islands.

Ungewöhnlich am Fall ist das Ausmass, mit den besagten 890 Millionen Franken, welche das «Behring-System» von etwa 4500 Anlegern absaugte – in Form von hochverzinslichen Darlehen (oft zu 12 Prozent Zins), Anlagefonds oder Direktanlagen. Wie hat Behring so viel Kapital anziehen können, fragt Autor Zihlmann. Seine Antwort: durch grosses Verkaufstalent, durch seine Fähigkeit, in persönlichen Gesprächen Vertrauen zu erwecken, und durch sein Bemühen, sich eine Aura des Wundermannes zu geben.

Die Aura. Manches hat dazu beigetragen. Etwa Behrings Geschichte über seine Spekulationsverluste als 18-Jähriger (Botschaft: Wer früh Geld verlor, hat viel gelernt), seine Kleidung ganz in Schwarz (Motto: Ich bin was Besonderes), das 100 000-Franken-Nachtessen in einem Londoner Restaurant (Botschaft: So was können sich nur Erfolgreiche leisten), sein Hinweis, dass Anleger ab 20 Millionen ihr Geld direkt bei ihm platzieren dürfen (Botschaft: Ich hab nicht für jeden Zeit), und sein öffentlich verkündetes steuerbares Vermögen von 430 Millionen Franken.

Wenn Behring von seinem Softwaresystem erzählte, welches angeblich Erfahrungen von 500 Jahren verinnerlicht und den «genetischen Code» der Börse geknackt habe und dank breiter Diversifikation sehr sicher und dennoch höchst rentabel sei, dann war das zwar nur Geschwafel. Es kam aber oft gut an, weil die Botschaft irgendwie Sicherheit ausstrahlte: Der Mann wusste offenbar, wovon er sprach – obwohl die Zuhörer nur Bahnhof verstanden.

Behring steht nun, nach dem Fall seines Imperiums, persönlich im Zentrum der Kritik – und alle früheren Steigbügelhalter wollen nichts mehr von der Sache wissen. Aber was meistens gilt, gilt auch hier, wie der Autor betont: «Allein hätte Behring sein Finanzimperium gar nicht aufbauen können.» Da waren seine engsten Partner, der Basler Anwalt Peter Weibel und der Genfer Bankier Raymond Pousaz. Da waren die vielen mit satten Kommissionen geköderten Vermittler, die Kunden anlocken sollten – da Behring selbst nur als «Lizenzgeber» seiner Software auftreten wollte, um den Fängen der Justiz leichter zu entgehen. Da war der befreundete Revisor, der von Behring nicht genügend Angaben für eine seriöse Revision bekam. Da waren teils renommierte Banken, die Behring zu Veranstaltungen einluden und Behring-Produkte in ihre Kundendepots nahmen. Da waren die geblendeten Investoren. Und da waren die Medien, die nun laut schreien, früher aber Behring tatkräftig unterstützt haben. Behrings Börsenhandelssystem arbeite «genial erfolgreich», schwärmte zum Beispiel der Zürcher «Tages-Anzeigen» im Sommer 2002. Auch andere Blätter fanden lobende Worte.

Dass Behring dabei sein «System» nie genau erklärte, schien nur ein paar Anlageprofis zu stören. Dabei hätten alleine die angeblichen Renditen alle Alarmglocken ins Läuten bringen müssen: Ab 1976 will Behring während 24 Jahren eine jährliche Durchschnittsrendite von netto 58,6 Prozent erreicht und jedes Jahr Gewinn erzielt haben. Wer das glaubt, ist selber schuld. Die Anlegerweisheit «Keine grossen Gewinne ohne grosse Risiken» ist zwar uralt, aber so aktuell wie eh und je.

Das Buchkapitel «Behrings frühere krumme Touren» zeigt den Gaukler als Wiederholungstäter. Er hat demnach früher als Generalagent von Versicherungsgesellschaften wiederholt Anlagegelder von Kunden entgegengenommen, ohne sie der Versicherung weiterzuleiten. Auch ein dubioser Firmenkonkurs gehört in das Kapitel über die dunkle Vergangenheit. Aus Berner Sicht erwähnenswert: 1984 arbeitete Behring auch als Generalagent der Berner Versicherung.

In seinem Ausblick auf den kommenden Strafprozess prognostiziert Jurist Zihlmann, dass Behring angesichts der öffentlichen Erwartungshaltung verurteilt werde. Gerichtsurteile seien nicht einfach vom Gesetz vorgezeichnet, betont der Autor: Richter liessen sich immer auch vom Zeitgeist und von öffentlichen Erwartungen beeinflussen. Und was heisst dies für die vielen Partner und Vermittler, die kräftig mitkassiert, zum Teil aber auch selbst investiert und verloren haben? Wenn Vermittler viel eigenes Geld verloren, könnte sie dies vielleicht vor einer harten Bestrafung als Betrugsgehilfen schützen, schreibt Zihlmann. Aber Juristen könnten das auch anders sehen, wie er anfügt. Die andere Lesart: Die Vermittler nahmen es in Kauf, Anleger zu schädigen – und die Ignoranz der Vermittler gegenüber dem «System Behring» sei nur eine Folge ihrer satten Kommissionen gewesen.

Wer wie stark zur Kasse kommt, kann nur der Prozess zeigen. Prognostizieren lassen sich vielleicht zwei Dinge: Die Sache wird viele Jahre dauern – und von den 890 Millionen wird nur ein kleiner Teil wieder auftauchen.

Hansueli Schöchli

* PETER ZIHLMANN:
Der Börsenguru. Aufstieg und Fall des Dieter Behring. Verlag Grell Füssli, Zürich. 232 Seiten.
39 Franken. August 2005.