Wahre Geschichte über Liebe und Tod

Exklusiver Auszug aus dem neuen Buch des Basler Autors und Juristen Peter Zihlmann

Basler Zeitung, 17.10.2016
von Peter Zihlmann

Was sich anschliessend im Libanon in den folgenden drei Jahren abspielte, war irgendwie vorhersehbar und doch tragisch, weil sich das Verhängnis unab- wendbar vollzog. Zwar umgab Marion Hassan weiterhin mit ihrer selten hingebungsvollen Liebe. Für sie war klar, dass sie nun, da Hassan gegen jedes Men- schenrecht aus seinem Lebensraum und seiner Liebe zu ihr verwiesen worden war, ihrer bedurfte und sie für ihn da sein musste. Da, wo er sein konnte, also im Libanon. Was hätte er ohne sie tun können? Er wäre verloren gewesen, sagte sie sich. Die Frage, ob sie im Libanon nicht beide hilflos und verloren sein würden, stellte sie sich erst gar nicht. Das liessen ihr Stolz und ihre Entschlossenheit, ihre Liebe gar nicht zu. Wer hätte ihre Motive zu unterscheiden vermocht, die zu ihrem kurzen Entschluss führten, Hassan unter allen Umständen beizustehen und ihm in den verwunschenen Libanon zu folgen. Das, was jetzt folgte, schien für sie die Be­­währungsprobe ihrer Liebe zu sein und auch die böse Frucht des Unrechts der Schweizer Justiz, gegen das sie sich so entschlossen, so vehement und am Ende doch erfolglos während all der verflossenen Jahre gewehrt hatte. Diese Jahre hatten sie zur Kämpferin werden lassen. Die Ausschaffung war die äusserste Zuspitzung der Situation, die weder sie noch wahrscheinlich sonst jemand, der die Situation kannte, für möglich hielt, ausser ihrem früheren Anwalt Borsalino, der resignierte und das Handtuch warf und sie am Schluss im Stich liess.

Sie folgte Hassan nach wenigen Wochen in den Libanon, nachdem sie ihre Zelte in der Schweiz, die sowieso nicht sehr stabil waren, abgebrochen hatte. Nur ihre schöne gemeinsame Wohnung Am Hängli in Zürich behielt sie. Formell behielt sie auch ihren Schweizer Wohnsitz. Ihr letzter Rettungsanker in der Schweiz. Sie würde Hassan sobald wie möglich in die Schweiz oder ins grenznahe Ausland, nach Süddeutschland zurückholen. Dort hatte er ja vor seinem Schweizer Aufenthalt bereits mit einer deutschen Frau und einem gemeinsamen Kind einige Jahre zusammen gewohnt. Das sollte doch auch jetzt noch möglich sein. Sie wusste damals noch nicht, dass mit Hassans Ausschaffung ein Einreiseverbot in den Schengenraum während sieben Jahren verbunden war. Auch dagegen rekurrierten sie später vergebens und mit erheblichem finanziellem Aufwand.

Er holte sie am Flughafen in Beirut ab. Es war kein glückliches, es war ein verzweifeltes Wiedersehen. Zwei Ertrinkende umarmten sich, zwei Liebende, die nur noch ihre Liebe hatten, ihre bedrängte Liebe. Eine Liebe im Widerstreit der Welt und der Wider- sprüche ihrer eigenen Charaktere. In der Schweiz war er ihr Schatten gewesen, sie sein Licht. Er war ihr gefolgt, wohin es sie zog. Er hatte sie auf Händen getragen. Jetzt im Libanon war alles anders. Er kehrte zu seiner Familie zurück, die er als junger Mann verlassen hatte, um sein Glück ausserhalb des vom Bürgerkrieg zerstörten Libanon zu suchen. Was für eine Rückkehr! Das wird auch für Marion zu einer Zerreiss- ­probe werden. Das spürte sie bald einmal. Hier würde sie zu seinem Schatten, zu seinem Gewicht, zu seiner Last werden. Sie kannte das Land so wenig wie die Sprache, das libanesische Arabisch. Allein hätte sie als Pianistin im Libanon nicht überleben können. Und mit ihm? Sie war auf ihn noch mehr angewiesen als er auf sie und das nicht nur in psy­chischer Hinsicht. Im Libanon war ein Überleben ohne die schützende Hand eines starken Mannes überhaupt nicht denkbar.

***

Was sollten sie tun? Wovon leben? Von Marions Geld? Zuerst musste er sich einen Pass beschaffen. Ohne Pass konnten sie nicht einmal eine Wohnung mieten. Die ersten drei Monate verbrachten sie bei Hassans Mutter in Deir Sahrani. Da Hassan aus den Einwohnerregistern gestrichen war, grenzte die Beschaffung eines Passes an ein Ding der Unmöglichkeit. Die Zeit aber drängte. Ohne Pass oder Personalausweis ging für das Paar nichts. An verschiedenste Amtsstellen mussten sie offizielle und inoffizielle Gebühren und Entgelte zur «Beschleunigung» zahlen, insgesamt mehrere Tausend Dollar, damit sie diesen Ausweis innerhalb einiger Wochen erhalten konnten.

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Monate später: Meine erste Reise in den Libanon auf eigene Faust fühlte sich schwer und fremd an. Ich fühlte mich verlassen, ausgeschlossen, im Libanon zu sein ohne Hassan und ohne unsere Wohnung. Ich hatte ihm mein Kommen verheimlicht, kam mit Kopftuch und Sonnenbrille in Beirut an, um nicht von einem Bekannten erkannt zu werden. Alles war ungewohnt und fühlte sich zwiespältig und doppelbödig an. Ohne Rabeas Hilfe hätte ich nichts davon geschafft. Er wurde mir zum Vertrauten in der Not. Bereits in den letzten Monaten meines Zusammenseins mit Hassan war er fast täglich bei uns zuhause und tagsüber oft mit Hassan unterwegs. Er versuchte mit grosser Geduld, unsere Streitereien zu schlichten, nachdem er uns stundenlang zugehört hatte. Auch half er, unsere frisch operierte Katze Nischi zu verarzten. Selbst seine Familie, seine Schwester Layla und seine für- sorgliche Mutter waren mir eine Stütze.

Ich war entschlossen, mich von Hassan nicht so einfach abhandeln und kleinkriegen zu lassen. Zusammen mit Rabea suchte ich einen vertrauenswürdigen Anwalt auf, der mir meine Rechte zurückholen würde. Wir suchten aufs Geratewohl im Geschäftsviertel von Beirut. Erst der dritte Anwalt überzeugte uns. Er hörte interessiert zu und wollte zuallererst etliche Papiere von mir, die meine Ausführungen belegten, mein Mann hätte mit meinem Geld im Libanon Autos gekauft und würde damit arbeiten, ohne mich am Erfolg zu beteiligen. Es war von Vorteil, dass Rabea Hassans rechte Hand gewesen war. Er konnte dem Anwalt die Um­stände in allen Details erklären. Als wir im Vorzimmer des Anwalts Ghandour warten mussten, entdeckte ich auf einem kleinen Beistelltischchen drei halbkreisförmig-gebogene Holzkerzenhalter in verschiedener Grösse, die sich ohne Kerzen ineinanderschieben lassen. Genau diese Kerzenhalter hatte auch ich zuhause, in meiner Wohnung in Zürich. Ich sah dies als kleines, gutes Omen.

Am Schluss einer späteren, eher mühsamen Besprechung bei meinem Anwalt Hisham Ghandour eröffnete mir Rabea als Übersetzer, dass es sehr wohl eine Möglichkeit gäbe, auf Hassan Druck auszuüben, um an mein Geld zu kommen. Das würde allerdings die Beiziehung des zuständigen Polizeichefs erforderlich machen. Er sei mit ihm befreundet. Es bestünde die Möglichkeit, Hassan den Ernst der Situation klarzumachen. Ich wollte natürlich wissen, was das konkret bedeute, an welche Möglichkeit er denke. Hassan könnte für eine gewisse Zeit in Haft gesetzt werden. Das sagte der Anwalt. Alles weitere, namentlich die Rückforderung des Kapitals, der Verkauf des Betriebes oder der Taxis würde sich daraus ergeben.

Es lief mir heiss und kalt den Rücken hinunter und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich wollte vorpreschen und gleichzeitig zurück­krebsen. So fragte ich, um Zeit zu gewinnen, ob ich nicht das Geld einfach einfordern, in Betreibung setzen könne.

Ich sagte: I ask for the reimbursement of the capital.

Rabea übersetzte die Antwort des Anwalts: This would be a very long way to get first a legal title that could be ­executed.

Ich verstand, dass es im Libanon keine Betreibungsämter gebe. Es gab ein längeres Hin und Her, weil wir alle Mühe hatten, mit den juristischen Begriffen klarzukommen. Das juristische Denken und Handeln ist auch im Libanon von der Alltagssprache ab­­gehoben und schwer verständlich, vor allem wenn sich noch drei Sprachebenen vermischen. Englisch war für mich in diesem Fachbereich eine echte Fremdsprache. Der verrückte Gedanke, Hassan in Haft zu setzen, wieder in Haft zu bringen durch mein Betreiben, quälte mich. Die Wörter jail und detention tauchten in der weiteren Besprechung immer wieder wie Kobolde auf. So wie ich früher in der Schweiz für Hassans Befreiung aus der Haft gekämpft hatte, würde ich nun dafür sorgen, dass er im Libanon, in seiner ursprünglichen Heimat, dorthin zu­­rückversetzt würde. War es wirklich das, was ich wollte? Ihn besiegen, der unsere Liebe zerstören will? Wollte ich auch ihn zerstören? Erklärte ich ihm nun im Libanon den Krieg, so wie ich ihm in der Schweiz meine Liebe erklärt hatte?

Rabea stiess mich mit den Fingern leicht am Handgelenk an, weil er bemerkte, dass ich in düstere Gedanken versunken war. Er fragte, ob das so okay sei. Okay, sagte ich. Wenn das geht. If this is legally possible. Ja doch, eröffnete mir Ghandour durch Rabeas Mund. Das würde jedoch zusätzliche Kosten für die Dienste des Polizeichefs und weiterer involvierter Personen bedingen. Wie viel?, fragte ich Ghandour an Rabea gewandt und fühlte einen leichten Schwindel in mir und hielt mich an der Armlehne fest. Das müsse noch abgesprochen werden. How much?, insistierte ich und blickte Ghandour in die Augen. Sein unentwegt lächelndes Gesicht kam mir plötzlich etwas zwielichtig und schmierig vor, als er auf Arabisch sagte, dass alles im bezahlbaren Rahmen bleibe. Aber ich verscheuchte den Eindruck und konzentrierte mich auf das Wesentliche, und das war jetzt das Geld, die Honorare. Einige Tausend Euros zusätzlich zu Ghandours eigenen Kosten. Ich blieb hartnäckig. Es ging um die Wurst. How much in total? Can we fix a lump sum? Er werde wie bisher von mir Kostenvorschüsse verlangen und so hätte ich alles unter Kontrolle, beschied Ghandour und Rabea nickte mir zu, als er übersetzte. Ich nickte zurück. Und Rabea sprach längere Zeit mit Ghandour. Das war mehr als eine Übersetzung. War das wirklich ich, die da handelte? Was verlangte ich da eigentlich? Ich verlangte über Hassan eine Art altertüm­liche Schuldhaft zu verhängen. Im Libanon herrschen andere Gesetze, das war mir immer schon klar. In der Schweiz wäre das nicht möglich, nicht zulässig. Aber ich konnte die Welt nicht ändern. Ich bin gegen dich angetreten mit den Waffen einer Frau. Vielleicht hat mich das Schwert der Penthesilea und ihre noch immer rege Hand geführt.

Wenn wir nur wüssten, was uns im Leben leitet. Und wenn wir verstünden, uns dem zu entziehen.

Nach Hochzeit in den Libanon ausgeschafft

hassanundmarioncoverBasel. In seinem neusten Buch schreibt der frühere Basler Rechtsanwalt und Richter Peter Zihlmann über eine tragische Liebesgeschichte, die eine junge Schweizerin in den Libanon führt. Der Autor von Büchern über den gescheiterten Börsenguru Dieter Behring oder den Paraplegie-Pionier Guido A. Zäch erzählt das Leben der Pianistin Marion Mansour, die sich in einem Zürcher Lokal in den Libanesen Hassan verliebt. Dieser steht wegen Vergewaltigung vor Gericht und wird schliesslich in den Libanon ausgeschafft. Mansour folgt ihrem Ehemann in die Fremde – mit tödlichen Folgen. Zihlmanns Buch ist kein Roman, ­sondern ein Tatsachenbericht. ck