«Justiz hat in zweierlei Hinsicht versagt»

Der Basler Justizexperte Peter Zihlmann ist überrascht, dass das Urteil gegen Behring nicht milder ausfiel

Basler Zeitung, 01. Oktober 2016
Von Christian Keller

BaZ: Sie haben sich intensiv mit dem Fall Behring befasst und auch ein Buch dazu geschrieben. Nun wurde der gescheiterte Basler Börsenguru zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Wie kommentieren Sie dieses Urteil?

Peter Zihlmann: Das Urteil ist angemessen. Man müsste noch die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, um in den Details eine Wertung vornehmen zu können. Es überrascht mich aber doch, dass die Richter das Strafmass nicht tiefer angesetzt haben.

Das verstehe ich jetzt nicht. Die Schadenssumme beläuft sich immerhin auf gewaltige 800 Millionen Franken. Wäre nicht viel mehr ein höheres Strafmass angezeigt gewesen?

Unterschätzen Sie es nicht: Fünfeinhalb Jahre Gefängnis für ein Vermögensdelikt sind keine Lappalie. Zudem wurden im revidierten Strafrecht der Jahrtausendwende strafmildernde Umstände definiert. Dazu zählt explizit eine lange Verfahrensdauer. Bei Behring ging es zwölf Jahre, bis er im Gerichtssaal stand. Das dürfte bei der Festlegung des Strafmasses eine gewichtige Rolle gespielt haben.

Sie argumentieren formaljuristisch. Die Frage ist doch, ob die Bevölkerung ein solches Urteil akzeptiert. Fünfeinhalb Jahre für 800 Millionen Franken Schaden: Ist das gerecht?

Es ist ja nicht so, dass die zwölf Jahre, in denen die Ermittlungen liefen, als inexistent betrachtet werden können. Für Behring war diese Zeit kein Spaziergang auf der Sonntagswiese. Die BaZ hat ihn diese Woche treffend als «müden Riesen» bezeichnet. Ich denke, die Bevölkerung kann nachvollziehen, dass bei einer äusserst langen Verfahrensdauer entsprechende Anpassungen vorgenommen werden müssen. Wäre es rascher zum Prozess gekommen, hätten nach meiner Einschätzung wohl acht oder neun Jahre Gefängnis resultiert.

Wandert Behring endgültig hinter Gitter oder existieren juristische Fluchtwege?

Er muss ins Gefängnis, davon gehe ich aus. Er kann das Urteil ans Bundesgericht weiterziehen. Überraschungen sind aber nicht zu erwarten. Es würde an ein Wunder grenzen, wenn das Bundesgericht angesichts der Dimensionen dieses Falls plötzlich auf drei Jahre Gefängnis hinuntergehen würde. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Behring will aber auch noch vor dem Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte klagen.

Diese Option steht ihm offen, sie verhindert aber nicht den Vollzug der Gefängnisstrafe. Ein Rekurs in Strassburg wäre wohl eher ein Akt für die Nachwelt.

Könnte es vor diesem Hintergrund auch sein, dass Behring aufgibt und das erstinstanzliche Urteil akzeptiert?

Bei seinem Charakter glaube ich das nicht. Er ist ein krankhafter Grosssprecher. In der Presse liess er verlautbaren, bei einem Freispruch auf sein beschlagnahmtes Vermögen von 80 Millionen Franken zu verzichten. Die Aussage spricht Bände. Behring wollte gegen jede Vernunft eine positive Fassade vor sich aufbauen.

Nach einem gigantischen Justizaufwand mit vielen Pannen liegt das Urteil jetzt vor. Was bleibt für Sie im Fall Behring zurück?

Die ganze Geschichte steht leider für die Schieflage und Unglaubwürdigkeit der Justiz. Die Bundesanwaltschaft war nicht in der Lage, in einem komplexen Verfahren zügig vorwärtszumachen. Genau das müsste man aber voraussetzen dürfen. Es wäre möglich gewesen, Behring nach maximal vier Jahren anzuklagen.

Welche Fehler wurden gemacht?

Statt Prioritäten zu setzen, wurde versucht, bei allen 2221 Geschädigten die Sachverhalte bis ins letzte Detail zu, klären. Eine Fokussierung aufs Wesentliche wäre richtig gewesen. Man muss auch einmal einen Punkt setzen. Wenn einer den anderen erschiesst, dann will ich au keine Schadensabrechnung des Pullovers, der durchschossen wurde.

Sie haben in Ihrem Buch Behring als «Sündenbock» bezeichnet und geschrieben: «Alleine hätte er nicht so erfolgreich sein können.» Sind Mittäter ungeschoren davongekommen?

Eindeutig. Das ist der zweite schwere Mangel im Fall Behring. Neun Jahre wurden die Ermittlungen gegen zehn Personen aufrechterhalten. Dann warf man aus Effizienzgründen das Handtuch. Ein grosser Fehler. Bei einem solchen Vorgehen wird nicht Gerechtigkeit hergestellt. Mehrere schwarze Schafe sind ungeschoren davongekommen.