Buch mit hoher Authentizität: Harte Justiz bis in den Tod

Basler Zeitung, 01. November 2014

Basel. Jerry, alias Rolf Walker (57), wollte nie im Gefängnis enden. Als sich der unmittelbare Tod des an Leberkrebs erkrankten «Rhygässlers» abzeichnete, und er bereits einen Wasserbauch beklagte, setzten sich Ärzte, ein Luzerner Rechtsanwalt, die Gefängnisleitung vom Wauwilermoos und die Freundin, die bis zum letzten Tag an seinem Totenbett ausharrte, für ihn ein. 30 Jahre im Knast sollten genug sein, es seien dem Todeskandidaten doch die letzten Tage in Freiheit zu ermöglichen. Aber sie sind alle aufgelaufen am Leiter des Basler Strafvollzugs, Dominik Lehner.

Die Geschichte vom traurigen Leben Rolf Walkers wird nun vom Autor und Justizkritiker Peter Zihlmann in Buchform unter dem Titel «Drei Tränen für Jerry» erzählt und bildet auch den Plot für einen «Reporter» des Filmemachers Alain Godet. Der Streifen wird morgen Sonntag am Schweizer Fernsehen um 21.45 Uhr unter dem Titel «Drei Knast-Tränen für Jerry – ein Basler Totentanz über die Liebe» ausgestrahlt.

Zugegeben, es braucht eine Portion Einfühlungsvermögen, um etwas Verständnis für Rolf Walkers Wunsch, in Freiheit sterben zu dürfen, aufbringen zu können. Denn Walker ist wegen zweifacher Vergewaltigung in der Verwahrung gelandet. Ganz präzis ist das zwar nicht. Zwischenzeitlich auf freiem Fuss verstiess er gegen die Bewährungsauflagen und baute einen Selbstunfall mit dem Motorrad. «Er hatte nur 0,58 Promille und musste deswegen bis ans Lebensende in den Bau», beklagt Freundin Brigitte Strebel das «fehlende Augenmass» des Basler Strafvollzugs.

Gute Karten hatte Rolf Walker jedenfalls nie im Leben. Einschneidend muss die Situation im 10. Altersjahr gewesen sein, als ihn seine Kameraden am Rheinufer beim Indianerspiel an einen Baum fesselten und ihn mit einem Pfeil in der Augennähe verletzten. Rolf musste notfallmässig ins Spital gebracht werden. Zu Hause schalt ihn die Mutter, weil ihr Sohn ihr wiederholt Sorgen bereite. Er sollte wieder ins Waisenhaus in Basel gebracht werden. Als die Eltern ihren Sprössling aus dem Haus komplimentierten, legte die Mutter die Schallplatte das damaligen Kinderstars Heintje auf. «Mama, ich will keine Tränen sehen», klang es. Von da an hat man Rolf nie mehr weinen sehen.

Diverse kleinere Delikte sowie die beiden Vergewaltigungen brachten ihn in jungen Jahren ins Gefängnis und am Ende in die Verwahrung. Daher rührt auch die markante Tätowierung unter seinem rechten Auge: drei Knast-Tränen, je eine für zehn Jahre Gefangenschaft.

Während Alain Godet das letzte Kapitel von Jerrys Geschichte nachzeichnet, die auch eine Liebesgeschichte zur Freundin Brigitte Strebel ist, treibt Autor Peter Zihlmann den Leser in nüchterner Wortfolge unter dem Titel «Drei Tränen für Jerry – Requiem für einen Fehlbaren» durch die Buchkapitel. Und Zihlmann lässt durchblicken, dass Menschenverachtung im Basler Justizapparat um den Leiter des Strafvollzugs mitschwingt.

Obwohl laut Fachkommissionsberichten zur Beurteilung gemeingefährlicher Straftäter Rolf Walker seit Jahren nicht mehr als gefährlich beurteilt wird, blieb er in Gefangenschaft. Die echten Namen und die Kälte, die aus den Strafvollzug-Dokumenten hervorgehen, die dem Buch beigelegt sind, geben Zihlmanns jüngstem Werk eine hohe Authentizität. «Er ist präventiv weggesperrt worden», schliesst der Justizkritiker – «in dubio pro securitate» –, im Zweifel für die Sicherheit.

Als Rolf Walker zusammenklappte, brachte man ihn schliesslich im Sterbehospitz in Arlesheim unter. Laut Aussagen von Brigitte Strebel wollte ihn Lehner noch besuchen. Er kam zu spät.

Man muss Jerry, alias Rolf Walker, der am 15. September 2013 die Augen schloss, nicht viele Tränen nachweinen.
Aber drei Tränen sind es im Minimum.
Und sie sind salzig. Sehr.

Von Daniel Wahl